Kommentar |
Die Europäische Ethnologie wie sie heute gelehrt wird, ist aus thematisch und methodisch breit gestreuten Forschungsrichtungen und -traditionen entwickelt worden. Von der Hochschulreform der DDR 1968 bis zu den wissenschaftspolitischen Umstrukturierungen im Zuge der Wiedervereinigung 1991 gehörten an der Berliner Humboldt-Universität Perspektiven und Zugänge der Volks- und Völkerkunde sowie der Geschichtswissenschaften zu den Grundlagen des Studienganges „Ethnographie“ – eine Konstellation, deren epistemologische wie ausbildungspraktische Effekte in den aktuellen Debatten zum Verhältnis von Europäischer Ethnologie und Ethnologie wenig reflektiert werden.
Wir werden uns im Projektseminar diesen jüngst vergangenen Fachkontexten zuwenden und nach der alltäglichen Wissenschaftspraxis, nach wissenschaftspolitischen Kontexten und gesellschaftlichen Handlungszusammenhängen, Zwängen und Spielräumen fragen. Die konkrete akademische Alltagswelt, etwa entlang biografischer Eigenheiten und in spezifischer zeithistorischer Rahmung - hier wollen wir uns besonders der Rolle von Frauen in der Wissenschaft zuwenden -, verweist dabei auf komplexe, mehrdimensionale Entstehungskontexte von Wissen und ermöglicht es, auch unsere aktuelle Wissenschaftspraxis reflexiv zu betrachten.
Forschung und Feldzugang werden auf Literatur- und Aktenstudium beruhen, auf der Nutzung von Film- und Bildmaterial sowie auf Interviews mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen.
Bearbeitet werden können – auch in Abhängigkeit von der Teilnehmer/innenzahl – Fragen aus unterschiedlichen Themenfeldern, z. B. das Verhältnis Volkskunde/ Völkerkunde in Forschung und Lehre; Kontinuitäten und Neuentwicklungen thematischer Schwerpunkte etwa mit Blick auf Forschungen zu material culture oder Erzählforschung; Besonderheiten von Studienorganisation und Methoden, z.B. Fernstudium und Studienprojekte; Ost/West: Relationen, Differenzen, Kooperationen im Fach; Vermittlungsarbeit/ außerwissenschaftliche Kontexte.
Ziel des Projektseminars ist es, in Zusammenarbeit mit dem Netzwerk „HU-Sammlungen“ einen Internetauftritt mit Bild-, Ton- und Textmaterial zu entwickeln, der die Resultate der Arbeit anschaulich dokumentiert und in eine fächerübergreifende Diskussion einspeist. |
Literatur |
Imeri, Sabine/ Kaschuba, Wolfgang / Knecht, Michi/ Schneider, Franka/ Scholze-Irrlitz, Leonore (2010): Volks- und Völkerkunde an der Humboldt-Universität zu Berlin bis 1945. In: Geschichte der Universität unter den Linden 1810-2010. Bd.5: Transformationen der Wissensordnung, hrsg. von Heinz-Elmar Tenorth, Berlin, 303-319.
Kaschuba, Wolfgang/Scholze-Irrlitz, Leonore (2010): Von der Ethnographie zur Europäischen Ethnologie. In:Geschichte der Universität unter den Linden 1810-2010. Bd. 6: Selbstbehauptung einer Vision, hrsg. von Heinz-Elmar Tenorth, Berlin, 423-438.
Korff, Gottfried (2011): Von Saubohnen, Kaffeelöffeln und epistemischen Dingen. Positionen und Perspektiven der Sachkulturforschung Wolfgang Jacobeits. In: Zeitschrift für Volkskunde: 171-193. |