Kommentar |
Forderungen, die Verflechtungen zwischen der „Zweiten“ und der „Dritten Welt“ stärker in den Fokus zu nehmen, werden in der Europäischen Ethnologie erst seit kurzem gestellt. Zwar wurde bereits in der Transformationsforschung vereinzelt auf die Unzulänglichkeit westlicher Theorien zur Erforschung postsozialistischer Gesellschaften hingewiesen bzw. die Einbeziehung außereuropäischer Theorien empfohlen. Doch besteht deren Anwendung häufig nur darin, die Sowjetunion als Kolonialmacht und die unter ihrem Einfluss stehenden europäischen Staaten als (Post)Kolonien zu betrachten. Was dabei erneut aus dem Blick gerät, sind die weiter südlich gelegenen ehemaligen Kolonien des Westens – und die DDR, die aus der symbolischen Geographie eines mit Osteuropa assoziierten postsozialistischen Raums ebenso herausfällt wie all die Wortmeldungen ostdeutscher Provenienz, die gerade in den Beziehungen der DDR zur „Dritten Welt“ positive Aspekte sehen. Räumlich und epistemologisch bleibt das Feld damit innerhalb einer vertrauten westlichen Wissensmatrix analysierbar, ohne dass sich mit der Komplexität globaler Geschichte und nichtwestlicher Positionen wirklich auseinandergesetzt werden müsste. Dazu gehören nicht nur ein frühes und logisches Interesse der vom Westen Kolonialisierten an Marx und Russland noch während der Zwischenkriegszeit, worin selbst ein so illustrer Fachvertreter wie Malinowski eine bedrohliche Entwicklung auszumachen meinte. Dazu gehört auch – und hier wird es für die gegenwartsorientierte Europäisierungs- und Migrationsforschung spannend – dass der sozialistische deutsche Teilstaat tatsächlich einen bemerkenswerten Beitrag zur Dekolonisation des afrikanischen Kontinents geleistet hat, was im Vergleich mit der Afrikapolitik seines kapitalistischen deutschen Gegenparts umso deutlicher wird. Das Seminar möchte sich diesem schwierigen Feld und dem mit viel Polemik geführten Diskurs darüber annähern. Lateinamerika und Südostasien können nur am Rande miteinbezogen werden. |
Literatur |
Adi, Hakim: Pan-Africanism and Communism: the Comintern, the ‘Negro Question’ and the First International Conference of Negro Workers, Hamburg 1930, in: African and Black Diaspora: An International Journal, Vol. 1, No. 2, July 2008, S. 237-254; Engel, Ulf/Schleicher, Hans-Georg: Die beiden deutschen Staaten in Afrika: zwischen Konkurrenz und Koexistenz 1949 - 1990. Hamburg 1998; Goel, Urmela: „Ungehörte Stimmen. Überlegungen zur Ausblendung von Migration in die DDR in der Migrationsforschung“ (auch online), in: Gürsel, Duygu/Çetin, Zülfukar/Allmende e.V. (Hrsg.): Wer Macht Demo_kratie? Kritische Beiträge zu Migration und Machtverhältnissen. Münster 2013, S. 138-150; Hall, Stuart: „`Rasse´, Artikulation und Gesellschaften mit struktureller Dominante“, in ders.: Rassismus und kulturelle Identität. Ausgewählte Schriften 2. Hamburg 1994; Heyden, Ulrich van der/Stephan, Gerd-Rüdiger (Hrsg.): Deutsch-südafrikanische Beziehungen: DDR – Bundesrepublik – vereintes Deutschland. Potsdam 2009; Kunze, Thomas/Vogel, Thomas (Hrsg): Ostalgie international: Erinnerungen an die DDR von Nicaragua bis Vietnam. Berlin 2010; Lahya-Aukongo, Stefanie: Kalungas Kind: Wie die DDR mein Leben rettete. Hamburg 2009; Lozoviuk, Petr: „‚Zwischen Dresden und Prag liegt Vietnam‘. Die Vietnamesen im sächsisch-tschechischen Grenzland“, in: Volkskunde in Sachsen Nr. 22, 2010, S. 215–239; Malinowski, Bronislav: „Introduction“, in: Kenyatta, Jomo: Facing Mt. Kenya. New York 1965, S. vii-xiii; Niedermüller, Peter: „Transformationen der Moderne: ein Ost-West-Vergleich?“, in: Binder, Beate/Gottsch, Silke/Kaschuba, Wolfgang (Hrsg.): Ort. Arbeit. Körper. Ethnografie europäischer Modernen. Münster 2005, S. 55–66; Ohiaeri, E.A.: Behind the Iron Curtain. Enugu 1985; Piesche, Peggy: Schwarz und deutsch? Eine ostdeutsche Jugend vor 1989 – Retrospektive auf ein ,nichtexistentes' Thema in der DDR. Heinrich-Böll-Stiftung (online, engl. Original von 2002); Randeria, Shalini/Römhild, Regina: „Das postkoloniale Europa: Verflochtene Genealogien der Gegenwart — Einleitung zur erweiterten Neuauflage (2013)“, in: Conrad, Sebastian/Randeria, Shalini/Römhild, Regina (Hrsg.): Jenseits des Eurozentrismus. Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften, 2., erweiterte Auflage. Frankfurt/Main 2013, S. 9–31; Schleicher, Hans-Georg und Ilona: Die DDR im südlichen Afrika: Solidarität und Kalter Krieg. Hamburg 1997; Schmidt, Jana: Denn wir sind anders. Die Geschichte des Felix S. Berlin 2011; Singh, Eric: „‚Sechaba‘ – ANC-Zeitschrift printed in GDR“, in: Heyden, Ulrich van der/Schleicher, Hans-Georg und Ilona (Hrsg.): Engagiert für Afrika. Die DDR und Afrika II. Münster 1994, S. 129–140; Theuerkauf, Inger: „‚Die Schule ist meine Frau. Eine Lebensgeschichte von Mahoma M. Mwaungulu‘“, in: Schmidt, Heike (Hrsg.): Afrika Erinnern – Hauptseminar Mündliche Geschichte. Humboldt-Universität zu Berlin 2000 (ohne Seitenzählung); Wolf, Eric R.: Die Völker ohne Geschichte: Europa und die andere Welt seit 1400. Frankfurt/Main 1986 |