Kommentar |
Die Untersuchung nationalsozialistischer Täterschaft begründete ein Forschungsfeld, das in den letzten zwei Jahrzehnten einen maßgeblichen Aufschwung erhalten hat und zum Inbegriff eines neuen geschichtswissenschaftlichen Diskurses zu werden schien. Eine katalytische Wirkung übten in den 1990er Jahren die ungleichen Arbeiten von Christopher Browning und Daniel Goldhagen aus, die Frage nach dem inneren Wesen der Täter hinterließ einen tiefen Eindruck im öffentlichen Gedächtnis. Seither ist eine schier unüberschaubare Dichte an Aufsätzen, Essays, Diskussionsbeiträgen, Sammelbänden und Einzelschriften zum Gegenstand zu verzeichnen. Der Prozess um John Demjanjuk und die aktuellen Ermittlungen gegen SS-Wachmannschaften des Konzentrationslagers Auschwitz haben das öffentliche Interesse an den NS-Tätern nochmals verstärkt und den Fokus auf Täter aus den Reihen der „volksdeutschen SS-Freiwilligen“ und „fremdvölkischen Hilfsfreiwilligen“ erweitert. Das Seminar fragt nach der Genese der Täterforschung und den Anfängen früher Auseinandersetzungen bereits in den 1930er und 1940er Jahren, den Strömungen, Tendenzen und Auseinandersetzungen seit den 1950er Jahren sowie aktuellen Fragestellungen und Trends im 21. Jahrhundert. Dabei stehen methodische wie empirische Zugänge und Erkenntnisse im Zentrum. Das Seminar untersucht Formen der Analyse und der Vermittlung sowohl in der Wissenschaft als auch in der Praxis. Unter Einbezug von Ausstellungen und Gedenkorten werden Aspekte der Musealisierung und gestalterischen Umsetzung diskutiert. Die Bereitschaft zu Exkursionen in Berlin/Brandenburg sowie zur Übernahme eines Referats wird vorausgesetzt. Die Teilnehmerzahl ist auf 25 Studierende begrenzt. Um rechtzeitige Anmeldung wird gebeten. The study of the perpetrators of National Socialist crimes has been a booming field of research in recent decades and a major new historiographic discourse. The very different studies published by Christopher Browning and Daniel Goldhagen in the 1990s were instrumental in this development. The question of the inner make-up of the perpetrators made a deep impression on public memory. Since the early 1990s, a vast variety of articles, essays, discussion papers, edited volumes, and monographs on National Socialist perpetrators have been published. The trial of John Demjanjuk and the current investigations of Auschwitz SS-camp guards have again increased public interest and widened the focus to other groups of Nazi perpetrators, such as ethnic German SS recruits (“volksdeutsche SS-Freiwillige”) and so-called foreign volunteer (“fremdvölkische Hilfswillige”). This seminar examines the genesis of research on Nazi perpetrators and the beginnings of debates going back to the 1930s and 1940s as well as the trends and controversies from the 1950s down to the present day. The seminar focuses on methodical and empirical approaches and findings. The seminar analyzes forms of examination and teaching in scholarship as well as in practice. We will discuss forms of public presentation and the design of exhibitions and memorial sites. A paper presentation and attendance of field trips in Berlin/Brandenburg is required. Please register as soon as possible, the number of participants is limited up to 25 students. |
Literatur |
Stefan Hördler, Aspekte der Täterforschung. Eine kritische Bilanz, in: Petra Fank/Stefan Hördler (Hrsg.), Der Nationalsozialismus im Spiegel des öffentlichen Gedächtnisses. Formen der Aufarbeitung und des Gedenkens, Berlin 2005, S. 23-45; Peter Longerich, Tendenzen und Perspektiven der Täterforschung – Essay, in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.), Aus Politik und Zeitgeschichte 14-15 (2007), S. 3-7; Gerhard Paul, Von Psychopathen, Technokraten des Terrors und „ganz gewöhnlichen“ Deutschen. Die Täter der Shoah im Spiegel der Forschung, in: Gerhard Paul (Hrsg.), Die Täter der Shoah. Fanatische Nationalsozialisten oder ganz normale Deutsche?, Göttingen 2003, S. 13-90; Rolf Pohl, „Normal“ oder „pathologisch“? Eine Kritik an der Ausrichtung der neuen NS-Täterforschung, in: Rolf Pohl/Joachim Perels (Hrsg.), Normalität der NS-Täter?, Hannover 2011, S. 9-45; Michael Wildt, Blick in den Spiegel. Überlegungen zur Täterforschung, in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 19 (2008), Heft 2, S. 13-37. |