Kommentar |
Ethnographie ist eine „produktive Instanz“. Aktiv und konstruktiv bildet sie Wirklichkeit nicht einfach ab, sondern zeitigt unterschiedliche Effekte. Je nachdem, wie sie „gemacht sind“, ermöglichen unterschiedliche Ethnographien sehr verschiedene Einsichten. Immer intervenieren sie auch in unterschiedlichem Ausmaß und mit ganz heterogenen Stoßrichtungen in die Alltagswelten, in denen Ethnograph_innen arbeiten und in denen die Menschen, die sie beschreiben, leben. Das Seminar führt in die empirische Praxis gegenwartsorientierter Ethnographie und Kulturanalyse ein, indem es die Wechselwirkungen und Verknüpfungen zwischen Theorie und empirischen Methoden betont und untersucht. Es stellt Feldforschung als Design, Prozess und Interaktion vor und leitet dazu an, in offenen Systemen und nicht in geschlossenen Containermodellen von Gemeinschaften, Staaten, Kulturen, Gruppen oder Netzwerken zu denken. Da ein Thema oder eine Forschungsfrage alleine noch kein ethnographisches Projekt ausmachen, werden im Seminar die Prozesse des Austüftelns von Forschungsdesigns oder -„kompositionen“ und natürlich die Durchführung eigener, explorativer Forschungen (in Arbeitsgruppen) besprochen und eingeübt. Die Seminar-Lektüre besteht zum einen aus diskursiv-reflexiven Texten, die die Bedingungen der Wissensproduktion im Forschungsprozess adressieren und Fragen nach der Spezifik, Relevanz und Logik von empirischer Forschung im Fach Europäische Ethnologie stellen. Zweitens diskutieren wir nochmals grundlegende kulturtheoretische Texte in ihren Bezügen zu Ethnographie und Kulturanalyse. Drittens lesen wir ethnographische Beispiel-untersuchungen – von der Magisterarbeit bis zum Klassiker –, die die methodische Phantasie anregen und die es erlauben, über die sich verändernden Bedingungen von Feldforschung in der Gegenwart systematisch nachzudenken. Einzelne Arbeitsschritte – Feld- und Gegenstandskonstruktion, Forschungs-Interaktionen, Auswertung und Aufbereitung – werden schrittweise durchgespielt. Die Studierenden erarbeiten eigene Projekte, die am Ende des Semesters in Form von wissenschaftlichen Postern präsentiert und diskutiert werden. Ziel ist es, selbst produzierte Daten hinsichtlich ihrer Aussagekraft, Tiefe und Reichweite bewerten zu lernen, spezifische Methoden als Technik und Haltung zu erproben, eigene Forschungsdesigns zu entwerfen und einen Sinn für die Zusammenhänge zwischen Erkenntnisinteressen, theoretischen Anliegen und empirischen Methoden zu entwickeln. |
Literatur |
Einführung ins Fach Europäische Ethnologie: • Kaschuba, Wolfgang: Einführung in die Europäische Ethnologie. München 2006 • Warneken, Bernd Jürgen: Die Ethnographie popularer Kulturen. Eine Einführung. Wien, Köln, Weimar: 2006, Böhlau. Einführung ins Fach "für Fortgeschrittene": Bourdieu, Pierre, Loic J.D. Wacquant (2006): Reflexive Anthropologie. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Beispielhafte Ethnographien zum Einlesen: Manalansan IV, Martin F. (2003): Global Divas: Filipino Gay Men in the Diaspora. Durham NC: Duke UP. Keinz, Anika (2008): Polens Andere: Neu-Verhandlungen von Geschlecht und Sexualität in Polen nach 1989. Bielefeld: transcript. Mathar, Thomas: Der digitale Patient: Zu den Konsequenzen eines technowissenschaftlichen Gesundheitssystems. Bielefeld 2010 Fassin, Didier: La force de l'ordre : Une anthropologie de la police des quartiers. Paris 2011 |