Kommentar |
Viele Regionen jenes unbestimmten Raumes, den wir heute Europa nennen, erlebten im Zeitraum zwischen 1780 und 1830 fundamentale Transformationen in sozialer, technologischer, politischer, ökonomischer und kultureller Hinsicht. Dieser Wandel bewirkte eine veränderte Sicht auf die gesellschaftliche Rolle der unteren Schichten und eine zunehmende Ästhetisierung ihrer Lebensformen. Diese (überwiegend bürgerliche) Perspektive unterschied sich deutlich von aufgeklärten Gesellschaftsideen, welche die unteren Schichten primär als rechtliche Größe in einem gesellschaftlichen Kontrakt aufgefasst hatten. Diesem kulturhistorischen Phänomen einer neuartigen gesellschaftlichen Selbstbeobachtung werden wir uns inhalts- und kontextanalytisch in Beispielen, welche die TeilnehmerInnen selbst auswählen können, annähern. Die Beispiele sollen verschiedene Sprachen und Regionen abdecken, um zeitgenössischen Austausch- und Übersetzungsprozessen Rechnung zu tragen. Wir werden einerseits die Inhalte analysieren, mit welchen die Neubewertung der unteren Schichten verbunden waren, sei es im Sinne antirationalistischer Gesellschaftskritik, für nationalstaatliche oder regionalistische Forderungen, zur spirituellen Erneuerung der Künste oder zur Restauration feudaler Gesellschafts- und Werteordnungen. Zweitens sind die spezifischen Genres und Medien der (bürgerlichen) Systeme der Repräsentation, wie der wachsende Zeitungsmarkt, die Kunstlieder oder die Sammlungen von Balladen und Märchen, in ihren inhaltsformemden Kräften und transnationalen Verflechtungen in den Blick zu nehmen. |