Bis in die 1990er Jahre dominierte in der deutschsprachigen Migrationsforschung - wie auch in Politik und Öffentlichkeit - die Frage, wie sich MigrantInnen, verstanden als "Fremde", in der "Aufnahmegesellschaft" orientieren und integrieren. Im Mittelpunkt stand die Perspektive des "aufnehmenden" Nationalstaats, von dem aus MigrantInnen wahrgenommen, untersucht und kategorisiert wurden. Erst mit dem so genannten "transnational turn" wurde aus dieser "Einwanderungsforschung" eine Migrationsforschung, die sich den mobilen, grenzüberschreitenden (= transnationalen) sozialen Beziehungen und den diasporischen Kulturen der MigrantInnen widmete - ohne diese von vorneherein als defizitär und problematisch zu werten. Stattdessen entwickelte sich die transnational ausgerichtete Migrationsforschung zunehmend zu einem Laboratorium kritischer Perspektiven auf die Defizite und Zumutungen eines hegemonialen nationalstaatlichen Selbstverständnisses und daran ausgerichteter Grenz- und Integrationspolitiken. Besondere Bedeutung hatte dabei auch die Entwicklung eines EU-europäischen Grenzregimes, das die Migrationsforschung herausforderte, sich über ihre eigenen nationalen Grenzen hinweg zu "europäisieren" und zu globalisieren. Die Entwicklung dieser kritischen Migrationsforschung und deren gegenwärtige Herausforderungen sind Gegenstand des Seminars. Dabei stehen sowohl die gesellschaftskritischen Potentiale als auch die kritische Selbstreflexion hinsichtlich der eigenen, noch keineswegs überwundenen Beteiligung an der kategorialen Herstellung von Migration als "Sonderforschungsbereich" und von MigrantInnen als peripheren "Minderheiten" des Nationalstaats und Europas im Mittelpunkt. Besondere Aufmerksamkeit gilt daher aktuellen Debatten um postkoloniale Perspektiven und eine "postmigrantische" Migrationsforschung. Ein wesentlicher Teil des Seminars beschäftigt sich mit der "Europäisierung" der Migrationsforschung, die damit zugleich zu einem avancierten Laboratorium der kritischen Europäisierungsforschung wurde. Das Seminar kann daher gleichzeitig als exemplarische Einführung in dieses Feld der Europäischen Ethnologie besucht werden. |