Kommentar |
In politischen und medialen Debatten werden Europäisierung und das Nationale häufig als zwei Gegenpole betrachtet: Europäisierung wird dabei als ein Prozess charakterisiert, der etwa zu einem allmählichen Souveränitätsverlust des Nationalstaates oder auch zu einer zunehmenden Nivellierung nationaler Identitäten und kultureller Referenzsysteme führt. In diesem Seminar soll eine mögliche Gegenposition diskutiert werden: im Zentrum steht hierbei die Frage, ob und in welchem Umfang Europäisierung als ein Prozess zu verstehen ist, der gerade im Nationalen stattfindet, das Nationale dabei „von Innen heraus“ verändert und hierdurch – wenn auch in einer deutlich veränderten Form – letztlich reproduziert und bestätigt. Hierzu werden im Rahmen des Seminars zwei Forschungsfelder der Europäischen Ethnologie vorgestellt und aufeinander bezogen: Einerseits werden Positionen und Herangehensweisen einer ethnologischen/ kulturanthropologischen Nationalismusforschung diskutiert, die das Nationale etwa als eine „soziale Erfindung“ oder „Konstruktion“, als einen „symbolischen Raum“, eine „kulturelle Strategie“ oder als eine „Technologie“ zu analysieren versuchen. Andererseits werden Fragestellungen und Forschungsansätze einer ethnologischen/ kulturanthropologischen Europäisierungsforschung vorgestellt, die „Europa“ als ein „object in the making“ untersuchen, das in unterschiedlichen Aushandlungsprozessen, Alltagshandlungen, „Projekten“, Praxis- und Machtfeldern hergestellt wird und hierbei etwa zu grundlegenden Veränderungen der Vorstellungen von „Territorialität“ und „Zugehörigkeit“ führt. Einen wichtigen Teil des Seminars bildet weiterhin die empirische Arbeit in Kleingruppen, die auf der Lektüre und Diskussion der Seminartexte aufbauen wird: die zentrale These zur Europäisierung des/im Nationalen soll hierbei anhand kleinerer ethnographischer Forschungen in unterschiedlichen Feldern (etwa musealen Darstellungen und Ausstellungen, öffentlichen Debatten zum „nationalen Interesse“, Sportereignissen, Erinnerungspolitiken usw.) untersucht und diskutiert werden. |
Literatur |
Benedict Anderson: Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgengreichen Konzepts. Berlin 1988; Beate Binder, Wolfgang Kaschuba & Peter Niedermüller (Hg.): Inszenierungen des Nationalen. Geschichte, Kultur und die Politik der Identitäten am Ende des 20. Jahrhunderts. Köln 2001; John Borneman & Nick Fowler: Europeanization. In: Annual Review of Anthropology, 26 (1997), S. 478-514; Ernest Gellner: Nationalismus und Moderne. Berlin 1991; Penelope Harvey: Hybrids of Modernity. Anthropology, the nation state and the universal exhibition. London/New York 1996; Wolfgang Kaschuba: Europäisierung als kulturalistisches Projekt? Ethnologische Beobachtungen. In: Hans Joas & Friedrich Jaeger (Hg.): Europa im Spiegel der Kulturwissenschaften. Baden-Baden 2008, S. 204-225. Kerstin Poehls & Asta Vonderau: Turn to Europe. Kulturanthropologische Europaforschungen. Münster 2006; Regina Römhild: Aus der Perspektive der Migration. Die Kosmopolitisierung Europas. In: Sabine Hess, Jana Binder & Johannes Moser (Hg.): No integration?! Bielefeld 2009, S. 225-238; Saskia Sassen: Das Paradox des Nationalen. Territorium, Autorität und Rechte im globalen Zeitalter. Frankfurt 2008; Cris Shore: Building Europe. The Cultural Politics of European Integration. London/New York 2000; Gisela Welz & Annina Lottermann: Projekte der Europäisierung. Kulturanthropologische Forschungsperspektiven. Frankfurt 2009 |