Kommentar |
Die Begriffe Krise und Kritik münden aus dem gleichen altgriechischen Verb (krínein). Sie gehen auch heute noch zusammen, wo aus der andauernden Finanz- und Schuldenkrise mittlerweile eine Krise der Wirtschaftswissenschaften geworden ist. Die Ökonomen verstünden nichts von Wirtschaft, ihre Modelle seien weltfremd, ihre Annahmen unrealistisch und zu simpel, ihre Forscher Autisten, die Wissenschaft ein Elfenbeinturm, ein Versteckspiel hinter der Mathematik. Nicht Wenige, ÖkonomInnen wie JournalistInnen, fordern nun eine Radikalkur, einen Aufbruch und Neubeginn, das Einbinden von anderen, heterodoxen Theorien in den Mainstream. Uns scheint vor allem ein Teil der Kritik an der wissenschaftlichen Praxis zutreffend und beurteilbar: In der Lehre lehrt man Methoden, Modelle und Mathematik – das (Nach-)Denken über die Ökonomie, das theoretische Arbeiten an ihren Theorien selbst bleibt dabei auf der Strecke. Deswegen setzt das Projekttutorium „Was ist Ökonomie?“ am Grundsätzlichen an. Was ist ihr Gegenstand? Wie lässt sich über sie nachdenken? Wie kritisieren? Im letzten Semester haben wir dazu klassische Theorien der Ökonomie von Aristoteles bis Keynes befragt und sind dort auf – im Gegensatz zum derzeitigen Lehrkorpus – vielseitige Diskussionen zu Themen wie Arbeit, Wert und Wettbewerb gestoßen. In diesem Semester wollen wir uns gegenwärtigen Formen der Kritik an der Ökonomie zuwenden: sowohl an der herrschenden neoklassischen Theorie wie „der Ökonomie“ als realem Gebilde selbst. Dazu werden wir zu Beginn des Semesters wissenschaftstheoretische Texte nach dem Status ökonomischer Theorie befragen, um auf dieser Grundlage das Vorgehen der Neoklassik kritisch zu beleuchten. In einem zweiten Schritt wollen wir uns dann verschiedenen Seiten und Methoden der Kritik an der Ökonomie näheren, unter anderem aus feministischer und (neo-/post-)marxistischer Perspektive. Ziel dieses zweiten Semesters ist neben dem Überprüfen, Diskutieren und Formulieren von Kritik an den herrschenden Wissenschaftsformen der Ökonomie vor allem eine Einbeziehung verschiedener wissenschaftlicher Perspektiven – sowohl aus den Natur- als auch den Geistes- und Sozialwissenschaften. Daher ist das Projekttutorium in diesem Semester mit Nachdruck am interdisziplinären Austausch interessiert und richtet sich an Menschen aller Fachrichtungen, die die Debatte zur und Kritik an der Ökonomie weiterbringen wollen. Vorkenntnisse in der neoklassischen Ökonomietheorie werden darum nicht vorausgesetzt! Kontakt: bestnr@web.de anja.breljak@gmail.com |