Kommentar |
Die Philosophie des römischen Kaisers Marc-Aurel findet sich in einer Sammlung von persönlichen Schriften, die unter dem Titel Ad se ipsum (Selbstbetrachtungen ist die übliche deutsche Übersetzung) überliefert worden ist. Diese ´Selbstbetrachtungen´ reflektieren die Beeinflussung durch den Stoizismus und insbesondere durch die Philosophie des Epiktet, aber sie enthalten keine klar fixierte Theorie und keine systematischen Gedanken, wie es bei vielen anderen Denkern der griechisch-römischen philosophischen Tradition der Fall ist. Trotzdem müssen Marc-Aurels Selbstbetrachtungen ohne Zweifel als ein echter philosophischen Text betrachtet werden, auch wenn sie nicht als systematische Abhandlung zur Darstellung und Verteidigung einer spezifischen philosophischen Doktrin entworfen wurden. Denn die Funktion dieser an sich selbst adressierten Gedanken ist eine ganz andere. In den Selbstbetrachtungen befasst sich Marc-Aurel mit einer Reihe von ´geistigen´ Übungen, die zum Ziel haben, bestimmte philosophischen Theorien geistig zu verarbeiten, den Charakter sowie die Seele und endlich die Art zu leben, im Lichte dieser Theorien umzugestalten. Durch die ununterbrochene Überlegung über philosophischen Ideen und vor allem durch das Schreiben als Meditationsform begibt sich Marc-Aurel in einen iterativen Prozess, der darauf zielt, dass der Geist sich eine neue Denkart angewöhnt. Um dieses Ziel zu erreichen, folgt Marc-Aurel drei verschiedene Formen ´philosophischer Übung´, die schon von Epiktet entwickelt und beschrieben worden waren. Diese ´Übungen´ betreffen a) Begierden und Abneigungen, b) den Impuls zum Agieren und zum Nicht-Agieren, c) die Freiheit von Täuschung, vorschnellen Urteilen und von allem, was mit Affirmation zusammenhängt. Sie beruhen auf unterschiedlichen physischen, ethischen und logischen Prinzipien, die, auch wenn sie an der Oberfläche des Textes nicht erscheinen, die Voraussetzung und die Grundlage der philosophischen Bildung und der Betrachtungen von Marc-Aurel darstellen. In diesem Seminar werden ausgewählte Textabschnitte der Selbstbetrachtungen gelesen und kommentiert, zusammen und im Vergleich mit Stellen von Cicero, Epiktet, Seneca und anderen Denkern, die zur Tradition des griechisch-römischen Stoizismus gehören. Das Ziel des Seminars ist, die philosophische Pointe von Marc-Aurels philosophischen Übungen im breiteren Kontext der stoischen Ethik aufzuklären. Griechischkenntnisse sind willkommen aber nicht erforderlich (alle Texte werden auch in Übersetzung ausgehändigt). |
Literatur |
DALFEN, J., Marci Aurelii Antonini Ad Se Ipsum Libri XII, Bibliotheca Scriptorum Graecorum et Romanorum Teubneriana (Leipzig: Teubner, 1979; 2nd edn 1987) MARC AUREL, Selbst-Betrachtungen, Wiesbaden:Marixverlag, 2011 FARQUHARSON, A. S. L., The Meditations of the Emperor Marcus Antoninus, Edited with Translation and Commentary, 2 vols, Oxford: Clarendon Press, 1944 HAINES, C. R., The Communings with Himself of Marcus Aurelius Antoninus, A Revised Text and a Translation into English, The Loeb Classical Library (London: Heinemann, 1916; later reprints by Harvard University Press) LONG, A.A. & D.N. SEDLEY, The Hellenistic Philosophers, vol. 2. Greek and Latin Texts with Notes and Bibliography, pp. 341-422. ASMIS, E., ‘The Stoicism of Marcus Aurelius’, ANRW II 36.3 (1989), pp. 2228-2252. BRUNT, P. A., ‘Marcus Aurelius in his Meditations‘, Journal of Roman Studies 64 (1974), 1-20. CLARKE, M. L., The Roman Mind: Studies in the History of Thought from Cicero to Marcus Aurelius (London: Cohen & West, 1956) HADOT, P., The Inner Citadel: The Meditations of Marcus Aurelius, trans. M. Chase (Cambridge, MA: Harvard University Press, 1998); a translation of La Citadelle Intérieure (Paris, 1992) NEWMAN, R. J., ‘Cotidie meditare: Theory and Practice of the meditatio in Imperial Stoicism’, ANRW II 36.3 (1989), pp. 1473-1517. RUTHERFORD, R. B., The Meditations of Marcus Aurelius: A Study (Oxford: Clarendon Press, 1989) |