Kommentar |
Das Ende ist nahe. Dies suggeriert ein aktueller Werbeclip des deutschen Handwerks, der die Apokalypse einer Welt ohne Handarbeit entwirft: zusammenbrechende Autos, einstürzende Bauten, zerfallende Kleider. Hinter der satirischen Überspitzung steht die Sorge vor Image- und Statusverlust ebenso wie die Hoffnung, die müden Formeln vom ‚guten Handwerk‘ und dem ‚goldenen Boden‘, auf dem es stehe, durch zeitgemäßere Bilder zu ersetzen. Denn Handwerk ist stets mehr als nur eine Sammlung von Gewerben gewesen. Historisch war/ist es zugleich Projektionsfläche für soziale, politische und kulturelle Werte ebenso wie ein Ordnungsfaktor in Markt und Staat: Subjekt und Objekt gesellschaftlicher Selbstverständigung und politischen Streits. Das Seminar will die verschiedenen Dimensionen von ‚Handwerk‘ und ihre historische Genese nachvollziehen. Im zeitlichen Längsschnitt von der Herausbildung der bürgerlichen Gesellschaft in der frühen Neuzeit bis in die vermeintlich postindustrielle Gegenwart soll den Wandlungen des Handwerks als ökonomische Praxis und als soziale Formation, als Idee und als Denkmodus – in Glenn Adamsons Worten, “a way of thinking through practices” – auf den Grund gegangen werden. Einzelne Sitzungen werden sich (Proto)Industrialisierung und Stadtbürgertum, Impulsen zur Gewerkschaftsbildung und konservativen Beharrungskräften, der Rolle des Handwerks im „Dritten Reich“ und in der DDR widmen; andere beschäftigen sich mit dem Verhältnis von Kunst und Handwerk, der Bedeutung impliziten Wissens oder gehen den Fragen nach, warum der Handwerker nicht nur grammatikalisch stets männlich ist und wie Manufactum mit Handwerk als Verkaufsargument („Es gibt sie noch, die guten Dinge“) glänzende Geschäfte macht. |
Literatur |
Peter Dormer, The Culture of Craft, Manchester, 1997; James R. Farr, Artisans in Europe, 1300-1914, Cambridge, 2000. |