Geographien der Toleranz und des Respekts Dem Faktor „Toleranz“ wird neben harten Standortfaktoren (Technologie) sowie hochqualifizierten, kreativen Beschäftigten (Talent) ein wesentlicher Einfluss auf die bestenfalls positive Rezeption, Imageausprägung vor allem aber auch wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit einer Stadt, einer Metropole oder einer Region unterstellt. Zudem weisen unterschiedliche gesellschaftliche Einflussfaktoren und Entwicklungen (z. B. Fachkräftemangel, demographische Entwicklungen…) immer eindringlicher auf die gewachsene Bedeutung von „Toleranz“ hin, wenn z.B. eine bessere Bindung von hochqualifizierten transnationalen von Fachkräften an einen Standort erzielt werden soll. In seiner oberflächlichen Betrachtung ist das Kriterium Toleranz stark mit Berufsfeldern von im Wesentlichen gut ausgebildeten wissens- und kreativbasierten Trägergruppen verbunden. Ihnen wird zugeschrieben, dass sie auf eine Atmosphäre der Offenheit und der Akzeptanz von Alterität und Differenz angewiesen sind, von dieser angezogen werden und diese qua ihrer alltäglichen und beruflichen Lebensführung im Städtischen wiederfinden und ebenso reproduzieren. Bei dieser vermeintlich fass- und adressierbaren Betrachtung wird Toleranz als soziales Normierungs- und Regelwerk gesetzt. In den Sozial- und Kulturwissenschaften dagegen wird Toleranz generell als unhinterfragte Errungenschaft der modernen westlichen Welt aufgefasst. Toleranz wird als eine zentrale zivilisatorische Kulturtechnik Europas angesprochen, mit Hilfe derer seit dem Mittelalter versucht wurde, gewalttätige religiöse Konflikte zu entschärfen. Heute dagegen wird es wiederum als Schlüssel gefeiert, um weltweit globale Konflikte wie ebenso kulturelle, ethnische oder geschlechtsspezifische Demarkierungen und Grenzziehungen zu überwinden. Diesem oftmals unhinterfragten positiven Konzept von Toleranz wird aber im Kontext von z.B. postkolonialen Diskursen immer eindringlicher eine Schattenseite gegenübergestellt: Kollektive Abwertungen, ethnische Missbilligung und soziale Regulierungsbestrebungen widersetzen sich den positiven Attributen von Toleranz als zivilisatorische Errungenschaft. Denn in dem toleriert, wird zugelassen, wird erlaubt, was eigentlich unerwünscht ist oder von einer Mehrheitsmeinung abweicht. Toleranz wird darüber hinaus als kulturelles Narrativ zur Rechtfertigung von Gewalt eingesetzt, man denke nur an die Begründungen der Kriege im Irak und dem Kampf gegen den Terror: Der zivilisierte Westen wurde als toleranter Gegenpol gegenüber dem „barbarischen Islam“ in Stellung gebracht. Zugespitzt gibt sich eine kulturelle Figur zu erkennen, bei der Toleranz paradoxerweise westliche Imperialisierungsbestrebungen unterstreicht. Die Vorlesung (Do. 11-13) untersucht und diskutiert die je spezifischen Ausprägungen und Kulturtechniken von Toleranz und Respekt im Kontext von z.B. globalen Befriedungsstrategien, Kampagnen für die Rechte Anders denkender, Urban Governance, der städtischen Politik der „Zero Tolerance“ sowie intoleranten Praktiken toleranter Vorreiter (Kreative!) und ihrer Rollenmodelle. Das Oberseminar (Mi 9-11) greift die Vorlesungsinhalte auf und wird als dialogisches Lektüreseminar entwickelt. Eine regelmäßige Beteiligung in beiden Veranstaltungen ist Voraussetzung für den Erhalt von Leistungsnachweisen. Literatur Richard Sennett: Respekt im Zeitalter der Ungleichheit. Berliner Verlag, Berlin 2004 |