Kommentar |
Lokal zu forschen, d.h. "vor Ort" physisch anwesend zu sein, "im Alltag" der Menschen und im "direkten Kontakt" mit ihnen ethnographisches Wissen zu produzieren, gilt bis heute als besonderes Merkmal der Ethnologie. Dabei hat sich jedoch das theoretische Verständnis "des Lokalen" wie auch seine empirische Operationalisierung stark gewandelt: Die traditionelle Vorstellung einer räumlich-kulturell-sozialen Einheit, die "das Dorf", "den Stamm", "die ethnische Gruppe" zu klassischen Orten ethnologischer Forschung machten, wurde im Zuge der Auseinandersetzung des Faches mit Fragen und Phänomenen der Globalisierung, der translokalen, transnationalen Mobilitäten und Vernetzungen heftiger Kritik unterzogen. In der Folge wurde "das Lokale" selbst mit Blick auf Prozesse der "Enträumlichung" in Frage gestellt, vor allem aber seine exklusive Bedeutung im Rahmen einer "einortigen" Feldforschung zugunsten "mehrortiger", mobiler Forschungsweisen neu überdacht. Inzwischen lässt sich der Trend einer Rückkehr zum Lokalen beobachten - allerdings unter den neuen Vorzeichen eines an Mobilität und Transnationalität geschärften ethnographischen Blicks und mit teils radikal erneuerten theoretischen Konzeptionen. In der anhaltenden Diskussion über den Stellenwert und die Neufassung des "Lokalen" - in seinen räumlich-materiellen, sozialen, kulturellen und zeitlichen Dimensionen - ist das für die Ethnologie grundlegende Verhältnis angesprochen zwischen der Mikrosphäre menschlichen Handelns (Agency) und der Makrosphäre gesellschaftlicher Bedingungen (Struktur). Das Seminar wird diese Diskussion sowohl unter methodologischen Gesichtspunkten beleuchten, als auch danach fragen, wie sie das (Selbst-)Verständnis der Ethnologie und der ethnographischen Wissensproduktion herausfordert. |