Kommentar |
Die deutsche Teilung nach dem Zweiten Weltkrieg bedeutete auch eine kulturpolitische Frontstellung: Mit DDR und BRD standen sich seit 1949 zwei Staaten gegenüber, in denen auf unterschiedliche Weise das Verhältnis von Kultur, Politik und Gesellschaft bestimmt wurde. Während die BRD die autoritäre Lenkung des kulturellen Lebens, die der Nationalsozialismus zur Perfektion getrieben hatte, in ihrem Selbstbild hinter sich ließ und politisch wie kulturell auf die Bindung an den Westen setzte, entwickelte sich unter den Maßgaben des sozialistischen Realismus in der DDR eine neue, am sowjetischen Vorbild orientierte offizielle Kulturpolitik: Hier galten Literatur oder bildende Künste fortan als symbolische Lösung gesellschaftlicher Widersprüche, die zum „Aufbau“ des ostdeutschen Staates und zur „Ankunft“ in dessen Alltag beitragen sollte. Mit den Leitlinien der Sozialistischen Einheitspartei (SED), mit denen Kulturförderung wie -zensur legitimiert wurden, gerieten viele, auch sozialistische Künstler:innen und Intellektuelle früher oder später in Konflikt. Nicht selten wurde vor diesem Hintergrund im westdeutschen Kulturbetrieb versucht, kritische und oppositionelle DDR-Intellektuelle für antikommunistische Argumentationsmuster zu vereinnahmen. Das Seminar behandelt die Geschichte der Kultur und der Kulturpolitik in beiden deutschen Staaten als eine Geschichte wechselseitiger Beziehungen, Wahrnehmungen und Transfers: Welche kulturpolitischen Debatten wurden in beiden Teilen Deutschlands geführt, etwa in parteipolitischen Gremien oder Verbänden von Schriftsteller:innen? Wie wurden die Kunst und Kultur des einen in im jeweils anderen Staat dargestellt und diskutiert? Welche Alternativen und Zwischenpositionen zu den staatlichen Verordnungen der einen und dem Antikommunismus der anderen Seite zeigten sich in der Debatte? Unter welchen verlags- und zensurpolitischen Bedingungen fand die wechselseitige Rezeption statt? Und welche Rolle spielten prominente Grenzgänger:innen, die sich freiwillig oder unfreiwillig zwischen den Staaten bewegten, wie z. B. Christa Reinig, Heiner Müller, Wolfgang Harich, Sarah Kirsch, Peter Hacks oder Ronald M. Schernikau? Das Seminar will entlang dieser Fragen den grundsätzlichen kulturpolitischen Trennlinien der deutschen-deutschen Kulturgeschichte nachgehen und an konkreten Beispielen und Quellen – literarischen Texten, Beiträgen aus Kulturzeitschriften und Feuilletons, Parteiprogrammen und Protokollen kulturpolitischer Debatten – aufzeigen, wo diese Trennlinien bestätigt und zementiert und wo sie unterwandert oder übertreten wurden. |