Kommentar |
Seit der vorletzten Jahrhundertwende fungieren internationale Filmkulturen als Kommunikatoren und Kommentatoren von psychologischem Wissen über individuelle und kollektive Traumata. Nur einige Jahrzehnte zuvor wurde das Krankheitsbild „traumatische Neurose“ ‚erfunden‘ und geistert seither in verschiedenartiger rhetorischer und nosologischer Transformation durch die Neuropsychiatrie- und Psychologiegeschichte: von der soldatischen „Kriegsneurose“ des Ersten und Zweiten Weltkriegs über „Posttraumatische Belastungsstörung“ (PTBS) bis hin zu Konzepten wie „Mild Traumatic Brain Injury“ (TBI). Aufgrund seiner hohen ästhetisch-narrativen Potenzialität und spezifischen Art, Zeitlichkeit zu gestalten (Rückblenden, Parallelmontagen, multiperspektivisches Erzählen, wiederholte Passagen, Split Screen, Zeitlupe, Zeitraffer usf.), ist das Medium Film im Besonderen geeignet, achronologische traumatische Zeitwahrnehmungen zu (audio-)visualisieren („traumatic memory“). Mittels welcher ästhetischen Verfahren bringt der Film – Medizinfilme, Dokumentationen oder Spielfilme – intrapsychische Grenzzustände und Traumasymptomatiken infolge gewaltsamer traumatisierender Ereignisse wie Genozide, Terrorakte oder anderer Formen interpersoneller oder intrastaatlicher Gewalt zum Ausdruck? Wie werden Konzepte wie „Amnesie/Gedächtnisverlust“, „Trigger“, „Intrusion/Flashback“, „Alpträume“, „Dissoziation“, „intrapsychische Krypta“, „passing-on“, „Reenactment“, „Täter-Opfer-Inversion“ oder „posttraumatic growth“ in filmische Sprache übersetzt? Und umgekehrt: Wie wirken dementsprechende Filmkulturen auf die Genese und Weiterentwicklung der (Psycho-)Traumatologie? Die Vorlesung fokussiert auf die Verbindung von Traumafilmgeschichte, kulturwissenschaftlicher und neuropsychiatrischer Traumatheoriegeschichte sowie Psychotraumatologiewissen und der immer schon mediatisierten Realgeschichte. Entlang ausgewählter Filme aus dem 20. und 21. Jahrhundert bzw. Filmsequenzen oder Filmstills geht die Vorlesung den spezifischen Gesetzmäßigkeiten, audiovisuellen Operationen, symbolischen Überschüssen und repräsentationalen Grenzen des internationalen Traumakinos nach. Dabei wird auch die Frage angesprochen, welche Facetten des jeweiligen öffentlichen Erinnerungsdiskurses Eingang in die Traumafilmkultur finden und welche tabuisiert werden bzw. inwiefern Filme Einfluss auf das kollektive Bewusstsein und nationale Geschichtsschreibung nehmen können.
Ergänzend zur Vorlesung findet ein gleichnamiges B.A.-Begeitseminar, zeitlich direkt im Anschluss, statt. |