Ausgangspunkt der gemeinsamen Überlegungen ist die literarische Kodierung des Wissens durch den männlichen Blick, der sich besonders deutlich in tradierten Mythen, Legenden und Märchen konstatieren lässt, in denen Gender-Klischees seit Jahrhunderten transportiert werden: Die anmutige Prinzessin, die auf Errettung durch den tapferen Prinzen wartet, ist passiv, unmündig und beugt sich scheinbar freiwillig den herrschenden patriarchalen Strukturen. Wie soll ältere Literatur vor dem Hintergrund eines solchen kulturellen Paradigmas in der heutigen Zeit gelesen werden?
Im Seminar werden klassische Texte des französischen 17. Jahrhunderts sowohl aus männlicher als auch aus weiblicher Feder untersucht sowie literarische Konzepte von Liebe, Leidenschaft (amour passion), Galanterie, Verführung, Übergriffigkeit, Männlichkeiten und Weiblichkeiten, Eheschließung und Ehefeindlichkeit auf ihre Gender-Codierungen hin überprüft: Beruht der Diskurs der Galanterie tatsächlich auf einem consentement amoureux oder verstärkt er das ungleiche Geschlechterverhältnis und die maskuline Dominanz? Welche gesellschaftliche Rolle spielten die préciosité und die weiblichen Salons?
Seminarlektüren sind u.a. ausgewählte Märchen von Charles Perrault, die Guilleragues zugeschriebenen Lettres portugaises, Madeleine de Scudéry: Clélie. Histoire romaine (mit der berühmten „Carte de Tendre“), Madame de Lafayette: La princesse de Clèves, die Tragödien Andromaque und Esther von Racine sowie einige Komödien von Molière (u.a. Dom Juan, Les précieuses ridicules).
Zur Einstimmung und Vorbereitung empfehle ich: Jennifer Tamas: Au NON des femmes. Libérer nos classiques du regard masculin, Paris: Seuil 2023 sowie insbesondere die neue „Postface“ (2024) „Soyez modernes, lisez les Classiques“ in der Ausgabe der Reihe Points Essais.
Die Veranstaltung wurde 3 mal im Vorlesungsverzeichnis WiSe 2024/25 gefunden: