‚Heiligkeit‘ als Ausdruck besonderer Gottesnähe ist zugleich ein integraler Bestandteil des Christentums und ein hochproblematisches literarisches Konstrukt. Insbesondere im Kontext der spätmittelalterlichen Ordensreformbewegungen findet eine intensive Debatte darüber statt, welche Formen einer scheinbar spezifisch ‚weiblichen‘ Spiritualität als Ausweis eines heiligmäßigen Daseins erwünscht, welche unter bestimmten Bedingungen akzeptabel und welche zurückzuweisen sind. In den Fokus des Observanzklerus geraten vor allem die Ausübung asketischer Praktiken und der Empfang von Visionen oder anderen göttlichen Gnadenerweisen. Die komplexen Diskussionen um ‚wahrhaftige‘ und ‚vorgetäuschte‘ Heiligkeit bringen zahlreiche Ambiguitäten und Widersprüche hervor, so dass die Grenze zwischen Verehrung und Verdammung religiöser Frauen fließend ist.Wir werden uns im SE anhand verschiedener Texte mit der Frage nach der Konstruktion und Destruktion weiblicher Heiligkeit auseinandersetzen. Im Zentrum wird die Vita der 1461 heiliggesprochenen Katharina von Siena stehen, deren Inszenierung als Idealgestalt der dominikanischen Ordensreform durch ihren Beichtvater Raimund von Capua stets brüchig bleibt.Als Studienleistung wird für einzelne Sitzungen eine intensivierte Vor- und Nachbereitung, insbesondere detaillierte Textarbeit sowie die Lektüre von Forschungsliteratur, erwartet.
Eine umfangreiche Bibliografie wird im Moodle-Kurs zur Verfügung gestellt. Auszüge aus der Katharinen-Vita sowie weitere Quellentexte werden ebenfalls bereitgestellt. Zur Einführung empfehlen sich die Forschungsbeiträge von Werner Williams-Krapp in folgendem Sammelband: Ders., Geistliche Literatur des späten Mittelalters: kleine Schriften. Hg. von Kristina Freienhagen-Baumgardt, Tübingen 2012 (Spätmittelalter, Humanismus, Reformation 64).
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