Kommentar |
Das Seminarthema „Wirtschaft und Gesellschaft“ klingt allzu umfassend. Tatsächlich wollen wir in diesem Seminar aber zusammen mit den Teilnehmer:innen ein sehr spezifisches Forschungsinteresse verfolgen: In einem Nachtrag zu seinem programmatischen Text „Traditionelle und kritische Theorie“ schreibt Max Horkheimer: „Der Ökonomismus, auf den die kritische Theorie mancherorts reduziert ist, […] besteht nicht darin, das Ökonomische zu wichtig, sondern darin, es zu eng zu nehmen.“
Doch hat die Kritische Theorie dieses Programm, einen weiten Begriff der Ökonomie zu verfolgen, erfüllt? Spezifisch für die Frankfurter Schule war es, das Vordringen einer für den Kapitalismus charakteristischen ökonomischen Rationalität in alle Lebensbereiche zu analysieren und unter Schlagwörtern wie „Verdinglichung“ (Lukács) oder „Kolonialisierung der Lebenswelt“ (Habermas) zu kritisieren.
Das Ökonomische – verstanden als spezifischer Modus des Umgangs mit Dingen und Personen – wurde für die charakteristischen Pathologien kapitalistischer Gesellschaften verantwortlich gemacht. Diese kritische Analyse der Diffusion (oder gar Invasion) der Warenform in zuvor oder konstitutiv „nicht-ökonomische“ Sphären ist einerseits intuitiv plausibel und die so argumentierenden Positionen sind längst nicht auf die eng verstanden Kritische Theorie beschränkt. Andererseits aber ist die so verstandene „Weitung“ der Perspektive, die kritische Analyse der gesellschaftlichen Ausweitung des Ökonomischen, in Gefahr, die Komplexität der im eigentlichen Sinne ökonomischen Sphäre aus dem Blick zu verlieren. Denn diese Auffassung des Ökonomischen ist nur insofern weit, als sie einen weitreichenden Einfluss des Ökonomischen aufzeigt. Letztlich steht hinter einem solchen Ansatz aber wieder ein enges Verständnis von Wirtschaft, das in gewisser Weise am anfangs zitierte Anspruch Horkheimers vorbeigeht, das aber auch den Umstand, dass Gesellschaften immer schon (auch) ökonomisch verfasst sind und umgekehrt, dass die Ökononmie selbst eine gesellschaftliche, eine soziale und kulturelle Praxis ist, bzw. auf solchen aufruht, nicht gerecht. Das jedenfalls ist die Vermutung, der wir mit diesem Seminar nachgehen wollen.
Wir wollen fragen, wie man auf grundbegrifflicher Ebene ein Verständnis von Ökonomie und Gesellschaft entwickeln kann, in dem sich aus der wechselseitige Verflechtung wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und politischer Praktiken weites Verständnis der Ökonomie ergäbe. Was kann es bedeuten, Ökonomie als „Teil der sozialen Ordnung“ (Beckert 2012: 260) zu verstehen, und nicht als ein dieser Ordnung entgegengesetztes „Anderes“. Wie lässt sich ein begrifflichen Rahmen dafür schaffen, die Ökonomie weit und umfassend zu denken? Und wie lässt sich auf einem solchen Hintergrund eine Kritik der (politischen) Ökonomie unserer Gesellschaften formulieren?
Diese und verwandte Fragen wollen wir im Seminar – konzipiert als forschendes Lernen – unter Rückgriff auf wirtschaftssoziologische und philosophische Klassiker – von Aristoteles über Smith, Hegel und Marx zu Weber, Simmel und Polanyi bis hin zu zeitgenössischen Autor:innen wie Habermas und Elisabeth Anderson – erkunden.
Das Seminar wird gemeinsam unterrichtet von Rahel Jaeggi und Marvin Ester. Die Eröffnungssitzung am 18.04. findet auf Zoom statt. Für den entsprechenden Link bitten wir bis zum 17.04. um eine Mail an: marvin.ester@hu-berlin.de |