Kommentar |
„Formsetzung“, so stellte der Soziologe Niklas Luhmann in seinem Buch Die Paradoxie der Form fest, „ist … Unterscheiden.“ Diese Operation, mit der Grenzen gezogen, Markierungen vorgenommen und Differenzen eingeführt werden, ist Kunst und Recht strukturell gemein. Praktiken, Diskurse und Medien der Gestaltung von Material bzw. Materie sind in der (Geschichte der) Kunst vielfältig transformiert, herausgefordert und entgrenzt worden, und doch bleibt die „Form“ zweifelsohne eine Grundkategorie ästhetischer Theorie und Praxis auch in der Moderne und Gegenwart. Sie betrifft die Entstehungs- und Erscheinungsweisen der Künste (seien sie abstrakt oder figurativ, fotografisch oder performativ) im Unterscheid zu anderen Wahrnehmungsphänomenen ebenso wie die Modalitäten ihrer Erfahrung in Museen und Galerien und Vermittlung in Publikationen und anderen Formaten.
Im Recht ist „Die Form ist die geschworene Feindin der Willkür, die Zwillingsschwester der Freiheit. Denn die Form hält der Verlockung der Freiheit zur Zügellosigkeit das Gegengewicht, sie lenkt die Freiheitssubstanz in feste Bahnen, dass sie sich nicht zerstreue, verlaufe, sie kräftigt sie nach innen, schützt sie nach aussen.“ Dieser Programmsatz des Rechtswissenschaftlers Rudolf von Jherings wird gerne als dekoratives Ornament verwendet, doch verdient er eine vertiefte Auseinandersetzung. Das Recht steht in einem multidimensionalen Verhältnis zur Form. Einerseits schreibt es ganz konkret zivilrechtlich, verwaltungsrechtlich und prozessrechtlich die Beachtung und Wahrung bestimmter Formen im „Rechtsverkehr“ vor. Daneben regelt das Recht aber auch die Formen seiner eigenen Erzeugung, etwa im Gesetzgebungsverfahren. Auf einer grundsätzlicheren Ebene schließlich kann das Recht selbst als eine große, soziale Form betrachtet werden.
Dieses Seminar versucht, diesen verschiedenen Facetten der Formen der Kunst und Formhaftigkeit von Recht in der gemeinsamen Lektüre von Texten aus den Feldern der Kunst- und Rechtstheorie nachzuspüren. |
Literatur |
Formbildung und Formbegriff. Das Formdenken der Moderne, hrsg. von Markus Klammer, Malika Maskarinec, Rahel Villinger und Ralph Ubl, Paderborn: Wilhelm Fink 2019; Form Zwischen Ästhetik und künstlerischer Praxis, hrsg. von Armen Avanessian, Franck Hofmann, Susanne Leeb und Hans Stauffacher, Zürich/Berlin: diaphanes, 2009. Robert Summers, Form and Function in a Legal System, 2. Aufl., Cambridge: Cambridge University Press, 2006 |
Bemerkung |
Die Veranstaltung findet als Blockseminar außerhalb der Juristischen Fakultät statt. Es handelt sich um eine interdisziplinäre Lehrveranstaltung, an der auch Studierendes des Studiengangs Kulturwissenschaften der Europa-Universität Viadrina, Frankfurt a.O. teilnehmen werden.
Zoom-Link zur Vorbesprechung am Freitag, dem 19.04.24 von 14-16 Uhr: https://hu-berlin.zoom-x.de/j/69220487939?pwd=TmIwbTJrRXRSS2Z0dFFxUzVKWkM0QT09 |