Kommentar |
Menstruation, Endometriose, Wechseljahre – drei Beispiele von „Frauen*Gesundheit“. Zwar ist die Aufmerksamkeit hierfür in den letzten Jahren etwas gewachsen, etwa hat 2023 Spanien den sog. „Menstruationsurlaub“ eingeführt und der Wissenschaftsrat die Notwendigkeit von Gendermedizin betont. Nach wie vor aber sind Frauen*Gesundheitsthemen tabuisiert, obwohl sie einen Großteil der Bevölkerung betreffen. Die Frauengesundheitsforschung zeigt, dass sich die gesundheitliche Lage von Frauen* und Männern unterschiedlich darstellt; auch betreffen einige chronische Erkrankungen wie Long Covid, CFS, Migräne, diverse Autoimmunerkrankungen häufiger Frauen*. Ebenso unterscheiden sich Symptome, die Versorgungslage, Gesundheitsvorstellungen und -verhalten. Dies liegt u.a. an unterschiedlichen bio-physischen Merkmalen sowie an vergeschlechtlichten Lebensverläufen und -erwartungen. Elinor Cleghorn (2022) zeigte jüngst, wie Sexismus, Mythen und Fehldiagnosen die Medizin seit Jahrtausenden beeinflussen und eine geschlechtergerechte Forschung und Versorgung verhindern. Frauen*, so einer der wirkmächtigen Mythen, seien. aufgrund ihrer Gebärfähigkeit, ihres Menstruierens und der Wechseljahre vorwiegend für Reproduktionsarbeit zuständig und keine vollwertigen Erwerbsarbeitskräfte; die auf diesen Annahmen beruhende „statistische Diskriminierung“ ist ein wichtiger Grund, warum Frauen seltener Führungspositionen einnehmen, häufiger Teilzeit arbeiten und weniger verdienen.
In dem zweisemestrigen Projektseminar rücken wir Frauen*Gesundheit in der Arbeitswelt ins Zentrum. – Achtung Triggerwarnung: die folgenden Themen berühren Fragen von Prekarisierung und chronischen Erkrankungen! – Als Themen sind vorgesehen: (1) Wechseljahre; chronische Erkrankungen wie (2) Long/Post Covid und (3) Endometriose. Wir fragen in verschiedenen Teil-Projekten, wie diese Phänomene in der Arbeitswelt relevant (gemacht) werden, auf welche Hürden Frauen* mit diesen Einschränkungen / chronischen Erkrankungen in der Erwerbssphäre stoßen, welche Folgen dies im gesamten Lebenszusammenhang hat. Wie werden (potentiell) Betroffene in der Erwerbssphäre von Arbeitgebern/Kolleg:innen/Kund:innen behandelt? Welche Hilfe erhalten sie (nicht) (auch im Gesundheitssystem), welche Hürden, Diskriminierungen und Anerkennungsdefizite bestehen und welche Geschlechterungleichheiten zeigen sich? Wie lassen sich die damit einhergehenden Ungleichheiten und (reproduktiven) Ungerechtigkeiten adressieren und verringern? Umstritten ist theoretisch wie empirisch, ob es im Arbeitsleben Vor- oder Nachteile bringt, die besagten Themen publik zu machen oder sie zu verschweigen (oder ob beides nachteilig ist) – findet sich feministisches Potenzial für Theorie und Praxis?
Wir beschäftigen uns mit diesen Fragen aus einer subjektorientierten und prekarisierungstheoretischen Perspektive auf Geschlecht, Gesundheit, Ungleichheit und Prekarisierung im Lebenszusammenhang (Wimbauer/Motakef 2020). Theorien der Sozialen Reproduktion sind ebenfalls grundlegend (zB Dück 2022). Nach einer Einarbeitung in diese theoretischen Grundlagen und in gesundheitspolitische sowie arbeits- und sozialrechtliche Fragen im SoSe 24 erarbeiten die Teilnehmenden in Kleingruppen eigene Fragestellungen im Kontext des Themas und führen dazu im Sommer / Herbst selbstständig Interviews mit Expert:innen (zB mit Beratungsstellen, Betriebsrät:innen, Gewerkschaften, Betriebsärzt:innen, Gesundheitspersonal, Team- und Personalleitenden, „Vorreiter-Betrieben“ etc.) oder eventuell mit „Betroffenen“ (je nach Thema). Im WS 24/25 werden die Interviews ausgewertet und gemeinsam im Fallvergleich betrachtet sowie arbeits-, gesundheits- und geschlechterpolitischer Handlungsbedarf herausgearbeitet. Wenn möglich, sollen die Ergebnisse in geeigneter Form öffentlich gemacht werden (Blogbeitrag, Poster, Aktion etc.).
Das Projektseminar erfordert unabdingbar inhaltliches Interesse an sowie Kenntnisse bzgl. Geschlechterfragen und qualitativen Methoden, ein hohes und zuverlässiges Engagement – qualitative Forschung ist sehr zeitintensiv – und die eigenständige Durchführung eines Forschungsprojektes, möglichst in einer Kleingruppe. |
Literatur |
Bauer, Sophie (2022): Mehr als nur Blut. Stand und Potenziale der (kritischen) Menstruationsforschung. In: GENDER – Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft, 3-2022, S. 106-118. https://doi.org/10.3224/gender.v14i3.08
Cleghorn, Elinor (2022): Die kranke Frau. Wie Sexismus, Mythen und Fehldiagnosen die Medizin bis heute beeinflussen. Köln: Kiepenheuer & Wietsch.
Dück, Julia (2022): Soziale Reproduktion in der Krise. Sorgekämpfe in Krankenhäusern und Kitas. Weinheim: Beltz/Juventa. https://www.beltz.de/fachmedien/soziologie/produkte/details/47696-soziale-reproduktion-in-der-krise.html
Deutscher Bundestag (2023): Politik der Bundesregierung zur Menopause – eine Bestandsaufnahme, Drucksache 20/8755, https://dserver.bundestag.de/btd/20/087/2008755.pdf
Jahn, Franziska, Christine Wimbauer und Mona Motakef (2023): Long Covid und die Folgen: Vor allem Frauen auf dem Abstellgleis. Gegenblende. Debattenmagazin, 17.1.2023 https://gegenblende.dgb.de/-/TK3
https://www.frauengesundheitsportal.de/themen/frauengesundheitsforschung/
https://www.rki.de/DE/Content/GesundAZ/F/Frauengesundheit/Frauenbericht_Tab.html
Teschlade, Julia und Christine Wimbauer (2023) Spanien als Vorbild – Braucht auch Deutschland ein Menstruationsgesetz? https://genderblog.hu-berlin.de/spanien-als-vorbild-braucht-auch-deutschland-ein-menstruationsgesetz/
Wimbauer, Christine und Mona Motakef (2020a): Prekäre Arbeit, prekäre Liebe. Über Anerkennung und unsichere Lebensverhältnisse. Frankfurt/New York: Campus. Kostenlos erhältlich unter https://www.campus.de/e-books/wissenschaft/soziologie/prekaere_arbeit_prekaere_liebe-16170.html (rechts oben, download e-book).
https://www.smb.museum/ausstellungen/detail/laeuft-die-ausstellung-zur-menstruation/ |