Kommentar |
Ziel dieses Seminars ist es, die Rezeption der Philosophie Kants in der phänomenologischen Tradition darzustellen. Anders als oft behauptet wird, war die Rezeption Kants in der Phänomenologie nicht ausschließlich positiv. Der späte Husserl stützt sich mit seinem transzendentalen Idealismus auf die Philosophie Kants und Heidegger entwickelt mehrere kantische Themen in seinem eigenen Denken weiter. Interessanterweise lehnten jedoch andere Akteur:innen der phänomenologischen Tradition den Kantianismus entschieden ab. Dies gilt in den Anfängen der Phänomenologie für Mitglieder der Brentano-Schule, wie Franz Brentano selbst, Anton Marty, Carl Stumpf und andere. Es gilt aber auch für die Mitglieder der realistischen phänomenologischen Tradition, d.h. die frühen Schüler:innen Husserls, die die transzendentale Wende ihres Lehrers kritisierten, wie Adolf Reinach, Edith Stein und viele andere. Die Mitglieder dieser beiden Strömungen der phänomenologischen Tradition waren metaphysische Realisten und lehnten Kants Idealismus ab. Sie kritisierten daneben auch weitere Aspekte Kants Philosophie, wie seine Theorie der Empfindung, einschließlich seiner Theorie von Raum und Zeit, seine Erkenntnistheorie mitsamt ihrer Darstellung des apriorischen Wissens, und seine Ethik. Dieses Seminar wird die zentralen Diskussionen nachzeichnen, die zu Kant in der phänomenologischen Tradition, bei Husserl und Heidegger, aber auch in der Brentano-Schule und in der realistischen Phänomenologie geführt wurden. Es wird auch eine Gelegenheit sein, sich mit den einschlägigen kantischen Texten auseinanderzusetzen und zu prüfen, welches Lob und welche Kritik an Kants Positionen berechtigt sind. Systematisch bietet das Seminar die Möglichkeit, interessante theoretische Herausforderungen für die Philosophie Kants (und den Kantianismus) in verschiedenen philosophischen Disziplinen zu untersuchen. Historisch zielt das Seminar darauf ab, besser zu verstehen, wie die spätmoderne deutschsprachige Philosophie, einschließlich der phänomenologischen Tradition, sich entwickelt hat, indem es einige weniger bekannte Figuren dieser Tradition in den Vordergrund stellt |