Sozial- und kulturwissenschaftliche Studien zu Krankheit und Gesundheit haben traditionell die Krankheitserfahrungen von Personen, die Organisation von Medizin- und Behandlungssystemen sowie damit in Verbindung stehende soziale Ungleichheiten analysiert. In diesen Arbeiten stand die Trennung von Krankheit und Gesundheit zunächst im Zeichen der Westlichen dichotomen Denkweise (dem Denken in Gegensätzen), welche auch die Konzepte Natur und Kultur sowie Körper und Geist in strenge Opposition stellte. Unter dem Einfluss feministischer Wissenschaftstheorien sowie der science and technology studies rückte mit der letzten Jahrtausendwende in der Europäischen Ethnologie/Anthropologie die Beschäftigung mit der Herstellung dieser konzeptuellen Trennungen selbst in den Mittelpunkt.
Im Seminar beschäftigen wir uns mit aktuellen bahnbrechenden Fragen zur Neukonzeption von Krankheit und Gesundheit, die mit der Debatte um die radikale Wechselwirkung zwischen Mensch und Umwelt im aktuellen geologischen Erdzeitalter, dem Anthropozän, weiteren Auftrieb erfuhren: Wie können wir Gesundheit als mehr-als-menschliches Phänomen begreifen und empirisch analysieren? Wie stehen Ökologie, das Molekulare und das Planetare neben dem Sozialen in Relation zur Gesundheit des Menschen? Welche Maßstäbe benötigen wir in der ethnografischen Forschung, um Gesundheit als Phänomen angesichts der aktuellen Klima- und Umweltkrisen zu untersuchen? Diesen und weiteren Fragen gehen wir im Seminar auf Basis empirischer Überlegungen und Übungen nach.
Findet im Rahmen des normalen Lehrprogrammes am Institut für Europäische Ethnologie statt, ÜWP Studierende können zusätzlich teilnehmen.