Kommentar |
Mit seinem Paris-Roman will Flaubert bekanntlich die „histoire morale [et sentimentale] des hommes de ma génération“ schreiben, und verfolgt damit ein Projekt, das mit seinen verlorenen Illusionen ein Gegenmodell zu Balzacs Paris-Romanen bildet. Die „histoire morale“ einer Generation repräsentiert zugleich eine Bilanz der sozialen, politischen und kulturellen Modernisierung, wie sie in ähnlicher Weise gleichzeitig Baudelaire unternimmt, und die im Moment dessen Triumphes weniger auf das „unvollendete Projekt“ dieser Moderne als auf als auf den mit der gesellschaftlichen Modernisierung verbundenen Desillusionierungen und Verluste verweist. Nathalie Sarrraute hat dies als „Inauthentizität“ bezeichnet, und Peter Bürger sprich von einer „Regression der Erfahrung“. Noch wichtiger scheint aber, dass „Der moderne Roman, der (historische) Wahrheit beansprucht, von Einfachheit auf Komplexität, von Plastizität auf Differenzierung umstellen“ muss, weshalb Flaubert „überwiegend auf negative Kategorien des Mangels, der Abwesenheit, der Formlosigkeit zurück[greift]“ (Helmut Pfeiffer) und damit auf den Roman der Krise der Moderne verweist.
Die gemeinsame Lektüre des Romans soll versuchen, dieser Komplexität detailliert Rechnung zu tragen. Als einführende Lektüre empfehle ich neben dem Flaubert-Kapitel meiner Französischen Literatur des 19. Jahrhunderts (Metzler 2006, S. 211-221), den Flaubert-Teil von Helmut Pfeiffer: Das zerbrechliche Band der Gesellschaft. Diagnosen der Moderne zwischen Honoré de Balzac und Henry James, Wilhelm Fink-Brill 2021, S. 77 – 191. |