Kommentar |
Dass die Wissenschaften ihren „Elfenbeinturm“ verlassen und sich in öffentliche Debatten mit ihrer Expertise, aber auch mit ihren Fragen und Vorschlägen einmischen sollen, ist spätestens seit den 1968er Jahren eine verbreitete Forderung. Heute sprechen die Universitäten von „Third Mission“, also einer Mission der „Öffentlichkeitsarbeit“ bzw. eines Beitrags zu öffentlichen Anliegen, die zusätzlich zu den beiden grundlegenden Missionen, nämlich Forschung und Lehre, die gesellschaftliche Relevanz von Wissenschaft belegen soll. Für unser Fach, die Europäische Ethnologie, ist eine „Public Anthropology“ schon allein deshalb nahe liegend, weil unsere Methodologie, die Ethnographie, mitten hineinführt in gesellschaftliche Alltage. Der „Elfenbeinturm“ war insofern für ein in diesen Alltagen forschendes und kommunizierendes Fach noch nie eine praktikable Option – aber gerade deshalb gab es auch ethisch problematische Überschneidungen mit einer „Anwendung“ anthropologischen Wissens. Heute stellt die Perspektive einer Öffentlichen Europäischen Ethnologie unser Fach vor neue konzeptionelle Herausforderungen, die Fragen der unmittelbaren Kollaboration und Intervention – und was das für Forschung bedeutet – berühren. Das Seminar wird sich mit aktuellen Konzepten einer Public Anthropology und teils problematischen Vorgängermodellen (z.B. Applied Anthropology und Action Anthropology) befassen und dann Beispiele aus unserem wie aus benachbarten Instituten recherchieren und diskutieren. Ein Schwerpunkt im späteren Teil des Seminars wird das aktuelle Public Anthropology-Projekt unseres Instituts sein: die Einrichtung eines Anton-Wilhelm-Amo-Salons im Erdgeschoss unseres Hauses, der dem neuen Namensgeber unserer Straße gewidmet und als inklusiver, mit der urbanen Öffentlichkeit geteilter, dekolonialer Lehr- und Lernraum konzipiert ist. |