Über den deutschen Kolonialismus ist (aus dem Schulunterricht) oft wenig mehr bekannt, als dass er von kurzer Dauer, geringer Ausbreitung und quasi ohne Auswirkungen gewesen sei. Dies ist weder für das Kaiserreich als Kolonialstaat noch für die kolonisierten Gesellschaften zutreffend, die von kolonialen Praxen und Wissensproduktionen nachhaltig beschädigt und geprägt wurden. Die Forschung hierzu ist in Bewegung gekommen. Ausgeübtes und erlittenes Unrecht, Vernichtung und Widerstand, Ausbeutung und epistemische Gewalt werden ebenso sichtbar gemacht wie ihre Wirkungen weit über das formelle Ende der deutschen Kolonien hinaus.
Im Seminar werden wir uns zunächst grundlegendes Wissen über den deutschen Kolonialismus und seine Ausprägungen in verschiedenen Kolonien sowie seine Auswirkungen im „Mutterland“ erarbeiten. Dabei spielen Prozesse von Rassifizierung und Vergeschlechtlichung bereits eine wesentliche Rolle, die aber durch Lektüre und Diskussion einschlägiger Texte zu Rassenideologien und zu Frauen im deutschen Kolonialismus vertieft reflektiert werden sollen. Die Wissensproduktion zu deutschem Kolonialismus ist von Barrieren, Pfadabhängigkeiten, Ausblendungen und Positionierungen geprägt, so dass die Reflektion der Bedingungen von Wissenserwerb und Wissenstransfer sowie die Reflektion der eigenen Positionierung zu und in eigenen und fremden Wissensproduktionen durchgängig relevant sein wird. Wir werden uns daher mit postkolonialer und dekolonialer Theorie sowie feministischen Ansätzen zu Wissensproduktionen befassen. Auch dem Konzept der epistemischen Gewalt, Fragen des Sprachgebrauchs und von Erinnerungskulturen sowie Kontinuitäten und Echos werden wir besondere Aufmerksamkeit widmen.
Im Mittelpunkt des Projektstudiums steht das forschende Lernen. Die Teilnehmenden des Seminars entwickeln eine eigene Forschungsfrage, an der sie über zwei Semester mit geeigneten Methoden und begleitet von mehreren Feedback- und Reflexions-Runden arbeiten.
Das Sommersemester dient der Themenfindung, der Entwicklung der Fragestellung, dem Erlernen von geeigneten Methoden und der Erstellung eines Exposés. Wir werden uns mit dem Forschungsstand und den Herausforderungen der Recherche vertraut machen und eine gemeinsame Wissensbasis für das Seminar schaffen. Im Mittelpunkt steht dann die Entwicklung des eigenen Themas und die Erstellung des Exposés. Schon mit Blick auf die pandemische Situation werden wir ferner die geplanten Exkursionen vollständig im Sommersemester durchführen.
Im Wintersemester stehen die (interne) Präsentation des Forschungsprojekts, die Reflektion des Forschungsprozesses und die Erstellung einer endgültigen Projektpräsentation im Mittelpunkt. Auf Grundlage des Exposés entsteht ein Forschungsmanuskript, welches im Seminar präsentiert und diskutiert wird. Die nach einer Reflexionsphase erstellten finalen Ergebnisse des Projektstudiums können unterschiedlich ausgestaltet sein und auch einen über das Seminar hinaus sichtbaren Beitrag zum Forschungsfeld leisten. |