Kommentar |
Rechnergestützte Verfahren im Rahmen kompositorischen Schaffens sind eine Facette der Musik des 20. und 21. Jahrhunderts. Auch wenn der Computer erst in den 1950er Jahren Einzug in die Komponierwerkstätten hielt, lassen sich in der Musikgeschichte bereits bei Athanasius Kircher, Johann Philipp Kirnberger oder Wolfgang Amadé Mozart kompositorische Kalküle beobachten, die eine Grundlage rationaler Durchdringung des musikalischen Schaffens markieren.
Das Seminar widmet sich von diesen Ansätzen ausgehend der Arbeit von Lejaren Arthur Hiller, Gottfried Michael König und Iannis Xenakis, die in der Mitte des 20. Jahrhunderts die ersten computergestützten Kompositionen realisierten. Während zu Beginn die zentralen Probleme darin bestanden, musikalische Regelwerke in maschinenlesbare Codes zu überführen und durch Zufallsoperationen mögliche Verläufe zu generieren, arbeiteten sich die algorithmischen Modelle in den 1960er Jahren bereits an der stochastischen Verteilung von Klangereignissen ab.
Mit Beginn des 21. Jahrhunderts hat sich zudem nicht nur die Rechenkapazität um ein Vielfaches erhöht, sondern auch die Komplexität der zugrunde liegenden Modelle, die sich an selbstlernenden neuronalen Netzen orientieren. An diesem Punkt fragt das Seminar, was als Künstliche Intelligenz (KI) im Rahmen der Musik zu verstehen ist. Welche musikalischen Parameter verarbeitet eine KI heutzutage? Was meint es, wenn eine KI den dritten Satz von Schuberts „Unvollendeter“ (1822) auskomponiert, wenn sie aus Klangquellen neues akustisches Material generiert oder wenn sie auf der Bühne in eine Live-Performance eintritt? Im Seminar stehen dahingehend u. a. Arbeiten wie Jennifer Walshes „Ultrachunk“ (2018) und „A Late Anthology of Early Musik“ (2020) oder Alexander Schuberts „Convergence“ (2020/21) zur Diskussion. Darüber hinaus flankieren auch mit Hilfe von KI generierte Popalben wie Taryn Southerns „I AM AI“ (2018), Björks generatives Soundscape „Kórsafn“ oder AIVAs (Artificial Intelligence Virtual Artist) erstes Album „Genesis“ (2016) das Seminar. |
Literatur |
Christian Grüny, „Kontingenzmaschinen: Künstliche Intelligenz in der Musik“, in: Neue Zeitschrift für Musik 180 (2019), Nr. 4, S. 17–21
Gerhard Haupenthal, Geschichte der Würfelmusik in Beispielen, Diss. Saarbrücken 1994
Lejaren Arthur Hiller, „Informationstheorie und Musik“, in: Darmstädter Beiträge zur neuen Musik 8 (1964), S. 7–34
Genoël von Lilienstern, „Fauxtomation, Cherry-Picking, Blackboxing. Über künstliche Intelligenz in der Musik“, in: Positionen 122 (2020), S. 34–44
Eduardo Reck Miranda, Handbook of Artificial Intelligence for Music: Foundations, Advanced Approaches, and Developments for Creativity, Cham 2021
Hans Pimmer, Würfelkomposition. Zeitgenössische Recherche mit Betrachtungen über die Musik 1799, München 1997
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