Kommentar |
Ein „Mann des Theaters“ sei er, „un uomo di teatro“: So charakterisierte Giuseppe Verdi sich selbst – und strickte damit erfolgreich am Klischee eines Komponisten, der nicht von Theorien und ästhetischen Reflexionen angekränkelt sei, sondern einfach handfeste, effektvolle Bühnenmusik und Melodien mit Ohrwurm-Qualitäten schreibe. Daran ist sicher vieles wahr. Das kommerzielle italienische Musiktheater des 19. Jahrhunderts bot avantgardistischen Experimenten nur wenig Raum. Konventionen bestimmten das Bild, stereotype dramaturgische Modelle, denen auch Verdi unterworfen war und die George Bernard Shaw in das hübsche Diktum kleidete: „The tenor and the soprano want to make love, and the baritone tries to prevent them.“ Doch andererseits kaschierte Verdi mit der Aussage vom „uomo di teatro“, dass er, wenngleich nicht als Autor theoretischer Traktate (im Gegensatz zu seinem Zeitgenossen und Antipoden Richard Wagner), doch sehr genaue Vorstellungen von der musikalischen, szenischen und textlichen Gestaltung seiner Werke besaß: Schlagworte wie „parola scenica“ und „tinta musicale“ stehen für eine Ästhetik der Oper, die auf konzentrierte Anwendung der Mittel setzt, auf radikale Knappheit und Präzision im Sinne dessen, was der Dirigent Will Humburg ein Komponieren im SMS-Stil nannte.
Diesen Strategien nachzuspüren, also die Opern Verdis musikalisch, aber auch hinsichtlich ihrer Dramaturgie zu analysieren, daran besteht das Ziel der Vorlesung. Im Blick zu behalten ist dabei immer auch die – durchaus problematische – Rezeption des Komponisten als Ikone des „Risorgimento“, also der nationalen Einigung Italiens. Als deren Hymne gilt landläufig der Gefangenenchor aus „Nabucco“ („Va pensiero sull’ali dorate“), obwohl sich diese Behauptung historisch nicht halten lässt, sondern zu den Mythen gehört, die im späten 19. Jahrhundert um die Gestalt Giuseppe Verdis gesponnen wurden und bis heute fortwirken. Vor solchem Hintergrund versteht sich die Vorlesung auch als kritische Reflexion überkommener Verdi-Bilder. |
Literatur |
Scott L. Balthazar (Hrsg.), The Cambridge Companion to Verdi, Cambridge 2004
Udo Bermbach (Hrsg.), Verdi-Theater, Stuttgart und Weimar 1997
Julian Budden, The Operas of Verdi, 3 Bde., London 1973–1981
Markus Engelhardt (Hrsg.), Giuseppe Verdi und seine Zeit, Laaber 2001
Anselm Gerhard, Giuseppe Verdi, München 2012
Anselm Gerhard und Uwe Schweikert (Hrsg.), Verdi-Handbuch, 2., überarbeitete und erweiterte Auflage, Stuttgart und Weimar 2013
Sabine Henze-Döhring, Verdis Opern. Ein musikalischer Werkführer, München 2013
Wolfgang Marggraf, Giuseppe Verdi, Mainz u. a. 1982
Mary Jane Phillips-Matz, Verdi. A Biography, Oxford 1993
Edoardo Rescigno, Dizionario verdiano, Mailand 2001
John Rosselli, The Life of Verdi, Cambridge 2000; deutsch: Giuseppe Verdi – Genie der Oper. Eine Biographie, München 2013
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