Kommentar |
Der Prozess der Europäischen Integration und sein Ergebnis, das Mehrebenensystem der EU, stellen seit Jahrzehnten für die Politikwissenschaft im Besonderen und die Sozialwissenschaften im Allgemeinen eine grundlegende theoretische und empirische Herausforderung dar. Welche Faktoren bestimmen die historisch beispiellose Zusammenlegung staatlicher Hoheitsrechte in den supranationalen Institutionen der EU? Welche Politiken sind für die EU prägend, wo hat sie dabei Erfolg, wo scheitert sie und woran liegt das? Was überhaupt zeichnet europäisches policy-making und die EU als ‚policy-making state‘ (Richardson) aus, wie kommt es dabei zur fortgesetzten Expansion europäischer Kompetenzen? Wie werden demokratische und funktionale Interessen in das EU-Entscheidungssystem eingespeist, welche Rolle spielt dabei die Europäische Kommission? Hat die EU ein demokratisches Legitimationsdefizit? Ist ihre Leistungs- und Problemlösungsfähigkeit zu gering oder gar nicht so schlecht? Ist die EU ein Modernisierungsregime für schwächelnde Wohlfahrtsstaaten, ein wirtschaftlicher Zweckverband ihrer nationalen Mitglieder oder eine funktionale Föderation oder gar ein global player im Werden? Wie stark ist die große EU der bis vor kurzem 28 Staaten intern differenziert oder gar überdehnt und nicht mehr hinreichend handlungsfähig? Ist die EU ein Nährboden für populistische und autokratische politische Entwicklungen oder kann sie ihre Mitglieder genau davor schützen? Man könnte diese Fragen immer weiter fortsetzen. Fest steht, dass sie allesamt nicht aus dem ‚methodologischen Nationalismus‘ der Politik- und Sozialwissenschaften heraus beantwortet werden können sondern einer umfassenderen Forschungsperspektive bedürfen, bei der EU und Mitgliedsstaaten und -gesellschaften zusammen ein politisch-administratives Mehrebenensystem bilden. Ziel des Kurses ist es, in die wichtigsten politikwissenschaftlichen Debatten und Forschungen zum Europäischen Integrationsprozess und zum Mehrebenensystem der EU einzuführen, um den Studierenden die Möglichkeiten zur Entwicklung eigener Forschungen aufzuzeigen und mit Ihnen zu üben.
Leistungsanforderungen: Regelmäßige Lektüre der Kursliteratur, mündliche Präsentation in einer Sitzung, Vertiefungsseminararbeit im Umfang von 15-20 Seiten. |