Kommentar |
Mit den gesellschaftlichen Veränderungen, die durch die republikanisch, liberalen Revolutionen und die ökonomischen Umbrüche in der Neuzeit hervorgerufen werden, tritt das Individuum in die Geschichte ein. Insofern es bildungsfähig und frei ist, ist es für sein Handeln und seine individuelle Lebensgestaltung verantwortlich. Mit der politischen Vorstellung der Demokratie als der Herrschaft des Volkes, tritt zur Freiheit die Idee der Gleichheit hinzu: Anspruch des und Forderung an das Individuum, das politische Gemeinwohl und das gesellschaftliche Leben zu gestalten. Die Ideen von Freiheit und Gleichheit finden ihren Niederschlag im pädagogischen Denken. Zugleich mit der Herausbildung der Ideen entwickeln sich Kritiken, die auf ihre mangelnde Verwirklichung hinweisen. Neben einem Kritikmodus, der die gesellschaftliche Wirklichkeit am Maßstab ihrer eigenen Ideale misst, entwickelt sich ein Strang der Kritik, der die Frage stellt, was die strukturellen Gründe dafür sind, dass Gleichheit und Freiheit uneingelöste Versprechen bleiben. Zu diesem zweiten Strang zählt das Denken materialistischer Pädagogik. Sie entsteht im Zusammenhang mit der ArbeiterInnenbewegung im 19. Jahrhundert und wird unter anderem in Reformpädagogik und kritischer Erziehungswissenschaft im 20. Jahrhundert weiter entwickelt. Materialistische Pädagogik versucht den strukturellen Widerspruch der gesellschaftlichen Verhältnisse zu ergründen, durch den die Ideen der Freiheit, Gleichheit und Mündigkeit hervorgebracht, zugleich aber ihre Verwirklichung verhindert wird. So ist die materialistische Pädagogik sowohl diesen Ideen als auch der Kritik ihrer historisch herrschenden Form verpflichtet. Im Seminar werden anhand exemplarischer Schriften Grundzüge der materialistischen Pädagogik in ihrer Verflechtung mit den liberalen Idealen erarbeitet und diskutiert. |