Kommentar |
Populäre Musik bildete immer einen wichtigen Ort der Überschreitung sowohl der klanglichen als auch der sozialen Normen. Transgeschlechtliche Musiker*innen waren oft einflussreiche Figuren mit ihren Beiträgen, wurden aber in den öffentlichen Diskussionen meistens sensationalistisch behandelt und ihre Leistungen wurden übersehen. In den letzten Jahren haben allerdings transgeschlechtliche Musiker*innen mit der vergleichsweisen höheren Sichtbarkeit und Anerkennung der Trans-Identitäten mehr Repräsentation finden können.
Diese komplexe Entwicklung wirft mehrere Fragen für die Popular Music Studies auf: Wie kann die musikwissenschaftliche Forschung kritisch mit trans Performer*innen umgehen, und zum Verständnis beitragen von welchen Regulierungen sie betroffen sind und wie sie damit umgehen? Kann man trans als eine intersektionale Methode verstehen, und was wären dabei die Potenziale und Grenzen? Über die zweigeschlechtliche Bestimmung der Stimme und über den biologischen Determinismus hinaus, wie kann die Epistemologie des Klangs durch das analytische Werkzeug trans neu betrachtet werden? Was sagt diese neue Perspektive für Klänge und Körper als historische soziale, biologische und kulturelle Konstruktionen, die sich immer in Transformation befinden?
Im Seminar erschließen wir uns zunächst die Ansätze und Methoden aus der Disziplin der Transgender Studies, die das Konzept der Transgeschlechtlichkeit als Ausgangspunkt der Theoriebildung und Analyse betrachtet, und fragen gemeinsam nach dem epistemologischen Potential dieser Ansätze für die Popular Music Studies in Bezug auf Stimme, Körper, Genrebildung, Technologie und klangliche Materialität. Während die Werke und Aussagen der transgeschlechtlichen Musiker*innen in unseren Auseinandersetzungen den Ausgangspunkt bilden, soll es in dem Seminar ebenso darum gehen, die Dichotomie zwischen dem vermeintlich Fixen den Überschreitenden in Frage zu stellen und somit andere trans Zustände in der populären Musik zu erkennen, die von den identitätsbezogen Lesearten unbeachtet bleiben. |
Literatur |
Baitz, Dana: Toward a Trans* Method in Musicology, in: The Oxford Handbook of Music and Queerness hrsg. von Fred Everett Maus und Sheila Whiteley, Oxford 2018.
Baumgartiner, Persson Perry: Trans Studies: Historische, begriffliche und aktivistische Aspekte, Wien 2017.
Eidsheim, Nina Sun: Voice as a Technology of Selfhood: Towards an Analysis of Racialized Timbre and Vocal Performance, Dissertation, La Jolla, Calif 2008.
Ertür, Başak; Lebow, Alisa: Coup de Genre: The Trials and Tribulations of Bülent Ersoy, in: Theory & Event 17/1 (2014), S. 1-35.
Jarman-Ivens, Freya: Queer Voices Technologies, Vocalities, and the Musical Flaw, London 2011.
Kheshti, Roshanak, Wendy Carlos's Switched-on Bach, London 2019.
Muñoz, José Esteban: “The White to Be Angry": Vaginal Davis's Terrorist Drag, in: Social Text No. 52/53, Queer Transexions of Race, Nation, and Gender (Autumn - Winter, 1997), S. 80-103.
Patch, Holly/König, Tomke: Trans* Vocality: lived experience, singing bodies, and joyful politics, FZG – Freiburger Zeitschrift für GeschlechterStudien, 1-2018, S. 31-53.
Snorton, C. Riley: Black on Both Sides: A Racial History of Trans Identity, Minneapolis, Minnesota 2017.
Solie, Ruth: Introduction: On "Difference", in: Musicology and difference. Gender and sexuality in music scholarship, hrsg. von Ruth Solie, Berkeley 1993, S. 1-22.
Stone, Sandy: The Empire Strikes Back: A Posttranssexual Manifesto [1991, erste Veröffentlichung], in: The Transgender Studies Reader 1. hrsg. von Susan Stryker und Stephen Whittle, New York 2006, S. 221-236.
Stryker, Susan: My Words to Victor Frankenstein Above the Village of Chamounix: Performing Transgender Rage, in: GLQ: A Journal of Lesbian and Gay Studies, 1/3 (1994), S. 237–254.
Zimman, Lal: Transgender Voices: Insights on Identity, Embodiment, and the Gender of the Voice, in: Language and Linguistics Compass 12 (8), 2018. |