Kommentar |
Ob wir es wollen oder nicht, sozialer Wandel, die Veränderung unserer Lebensbedingungen, geschieht. Durch die Digitalisierung sind unsere Arbeits- Lebens- und Kommunikationsverhältnisse einschneidend verändert worden. Der Klimawandel könnte das Leben und Überleben auf der Erde sogar in einer Weise radikal verändern, die sich niemand vorzustellen vermag – wenn es nicht, umgekehrt, gelingt, einen radikalen sozialen und ökonomischen Wandel, eine radikale Transformation der auf Überausbeutung der Natur beruhenden Lebensweise einzuleiten. Denn sozialer Wandel geschieht nicht nur, er wird auch von sozialen Akteuren gemacht. So tragen beispielsweise Black Lives Matter oder die MeToo-Bewegung dazu bei, rassistische und sexistische Strukturen aufzudecken und zu verändern. Aber solche Veränderungsprozesse werfen immer wieder die Frage auf, wie sich soziale Struktur und das Handeln von Akteuren genau zueinander verhalten. Wie entwickeln und beeinflussen sich verschiedene Dynamiken des technologischen, politischen, sozialen und kulturellen Wandels gegenseitig? Sozialer Wandel, so zeigen diese Fragen, hat viele Dimensionen. Er hat aber auch viele Formen. Wir kennen ereignishaft-beschleunigte Momente sozialen Wandels und Paradigmenwechsel (Revolutionen), aber auch längerfristige und undramatische Veränderungsprozesse. Um solche Dynamiken zu verstehen, ist es wichtig die Faktoren zu kennen, die sozialen Wandel auslösen, ihn steuern und hemmen, aber auch zu wissen, wie diese Faktoren aufeinander wirken. Gibt es „objektive Bedingungen“, (mit Marx: ein „passives Moment“) der sozialen Revolutionen, und wie verhält sich dieses zu den aktiven Momenten? Ist sozialer Wandel in der Summe all dieser Wechselwirkungen kontingent – oder gibt es eine immanente Logik der Veränderung, vielleicht sogar eine Entwicklung? Die Antworten, die auf solche Fragen gegeben werden, hängen von Annahmen über den Charakter historisch-sozialer Formationen ab, die sich mit den unterschiedlichen Auffassungen über den sozialen Wandel verbinden.
Unser Seminar will solche Voraussetzungen in den Blick nehmen. Dabei werden wir uns sowohl mit philosophischen und sozialtheoretischen Klassikern (z. B. Hegel, Marx, Gramsci und Sartre) als auch mit zeitgenössischen systematischen Ansätzen (u. a. Giddens, Sewell, Elster und Schatzki) innerhalb der Philosophie der Sozialwissenschaften widmen.
Das Seminar richtet sich an fortgeschrittene Studierende. Die Vertrautheit mit wenigstens einigen der philosophischen Grundlagen der Diskussion (Hegel, Marx, Geschichtsphilosophien, Dialektik, historischer Materialismus aber auch den Grundlagen der Philosophie der Sozialwissenschaften und der Geschichtstheorie) und die Bereitschaft zur extensiven seminarbegleitenden Einarbeitung in diese wird vorausgesetzt.
Bitte beachten Sie: Das Seminar wird teilweise im Workshopformat stattfinden. Termine und Form der Mitarbeit an diesen Formaten werden in der ersten Sitzung besprochen. Die Weiterführung des Seminars im Sommersemester 2023 (incl. Konferenzexkursion) ist geplant. |