Der Phaidon ist einer der bekanntesten und theoretisch bedeutungsvollsten Dialoge Platons. Er ist als Bericht über die Gespräche gemeint, die Sokrates an seinem letzten Lebenstag vor seiner Hinrichtung mit seinen Freunden und Schülern führte. Der Phaidon stellt deshalb die letzte Episode in der Dialogreihe über Sokrates´ Prozess und Tod vor, zu der auch der Euthyphro, die Apologie, und der Crito gehören.
In dieser Dialogreihe hat der Phaidon einen ganz besonderen Platz, denn er fokussiert nicht auf ethikbezogene Themen, sondern ist als systematische Betrachtung vieler Kernaspekte der platonischen Metaphysik, Seelenlehre und Erkenntnistheorie konzipiert. Aus diesem Grund kann der Phaidon zur Gruppe der mittleren Werke gezählt werden. Dieser Dialog, der bei den antiken Kommentatoren unter dem Titel „Über die Seele“ bekannt war, legt einige Hauptargumente zur Verteidigung der These der Unsterblichkeit der Seele dar. Die tiefgründige Betrachtung dieser Argumente und deren Rezeption in der Spätantike und im Mittelalter wird den Seminarschwerpunkt darstellen. Aber im Rahmen von und in Verbindung mit einer systematischen Darstellung seiner Ansichten über die Unsterblichkeit der Seele bringt Plato auch andere wesentliche metaphysische und erkenntnistheoretische Themen zur Sprache, wie die Auffassung des Wissens als Erinnerung, das Verhältnis der Seele zum Körper, die Begründung einer Ursachenlehre und die Gesetze und Voraussetzungen der wissenschaftlichen Erklärung. Aber vor allem stellt der Phaidon den Dialog dar, in dem Plato seine Ideenlehre wahrscheinlich zum ersten Mal vorstellt, während er ein Porträt unvergleichbarer Intensität von Sokrates in den letzten Stunden seiner Lebenszeit malt.
Das Seminar zielt darauf, alle oben genannten thematischen Schwerpunkte sowohl im Lichte der zeitgenössischen Platonforschung als auch im Lichte der spätantiken und mittelalterlichen Rezeption der platonischen Seelenlehre zu entwickeln, um die theoretischen Voraussetzungen und Folgen der platonischen Verteidigung der Unsterblichkeit der Seele sowie die Auswirkung des Phaidons auf die späteren Entwicklungen der Seelenlehre im philosophischen und theologischen Bereich nachvollziehen zu können.
Das Seminar wird stark diskussionsorientiert sein und setzt deshalb eine aktive Teilnahme voraus. Es wird erwartet, dass alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Laufe des Semesters zumindest ein Referat halten, und selbstverständlich sollen auch alle mit Fragen und Beiträgen regelmäßig zur Diskussion beitragen.
Griechischkentnisse sind willkommen, aber nicht erforderlich. Wir werden den platonischen Text in deutscher Übersetzung lesen, wobei wir auf den griechischen Text in systematischer Weise verweisen werden, um Kernbegriffe zu verdeutlichen und theoretisch relevante textuelle Schwierigkeiten bzw. Unklarheiten zur Sprache zu bringen.
Eine vollständige Primär- und Sekundärliteraturliste wird in der ersten Seminarsitzung zur Verfügung gestellt. |