Kommentar |
Historisch waren Gewerkschaften in Deutschland eine zentrale Säule des zumindest teilweise demokratisierten Wirtschaftslebens. Idealtypisch für dieses Modell ist eine Gewerkschaft der industriellen Großbetriebe, die auf Branchenebene nicht nur über Gehälter und Sozialpläne verhandelt, sondern zudem eine zentrale Rolle zum Beispiel bei der Gestaltung von Berufszertifikaten und Ausbildungen spielt. Dieses korporatistische Modell zielte auf eine kooperative dem gegenseitigen Nutzen verpflichtete Lösung des Konflikts zwischen Kapital und Arbeit. Heutzutage hat die Relevanz von Arbeiter:innenidentitäten abgenommen, oder sich zumindest diversifiziert, der industrielle Großbetrieb hat seine zentrale wirtschaftspolitische Stellung verloren und in diesem Zuge büßen die Gewerkschaften - letztlich in allen Industrienationen - an Verhandlungsmacht und Mitgliedern ein. Die Mitgliederstärksten Sektoren sind tendenziell öffentlich finanziert. Ein großer Teil gewerkschaftlicher Arbeit ist also nicht mehr die Verhandlung mit „dem Kapital“ sondern mit dem Staat. Gleichzeitig gewinnen Fragen der Mitbestimmung und Gestaltung von Arbeit dem Anschein nach öffentliche Relevanz: seien es migrantische Fleischereidienstleister oder boomende Logistikfirmen am prekären Ende der Ungleichheit oder flexible und reduzierte Arbeitszeiten für die stabilen Soziallagen. Das Seminar zielt auf die Formulierung und empirische Bearbeitung von grob zwei Arten von Fragen: Erstens, welche Folgen hat der Rückgang der gewerkschaftlichen Organisation auf die Arbeitswelt und soziale Ungleichheit? Zweitens, welche Anpassungsstrategien verfolgen Gewerkschaften, um den neuen Realitäten gerecht zu werden und wie erfolgreich sind sie dabei? Das Seminar wird theoretische und empirische Grundlagen zum Thema vermitteln. Zentraler Inhalt ist davon ausgehend die Erarbeitung einer eigenen in einer Hausarbeit zu beantwortenden Forschungsfrage. Methodisch ist das Seminar offen für quantitative und qualitative Projekte. Da Methodenlehre nicht im Vordergrund steht, sondern die Anlage eines Forschungsdesigns, wird ein Grundverständnis qualitativer und quantitativer Methoden vorausgesetzt. |