Kommentar |
In insgesamt 13 Tauchgängen – in Tiefenmessungen von wenigen Zentimetern unter dem Meeresspiegel bis hin zu 5.000 Tiefenmetern – erkundet die Ringvorlesung den Wissens- und Symbolraum des Ozeans. Seit es kulturhistorisch beschrieben, fiktional narrativiert und wissenschaftlich theoretisiert wird, erweist sich das Meer als fluides und plurales Wissensgebilde mit zahlreichen epistemologischen Anschlussstellen. Es ruft Bilder des Unbekannten, Unkontrollierbaren und Unbegrenzten, des Traums, Erinnerns und Unbewussten, des Risikos, Gefahrvollen und Todes, des Grenzgängerischen und Weiblichen auf. Als ohne entsprechendes Equipment unbewohnbarer und unpassierbarer Lebensraum zeigt der Ozean Menschen immer wieder ihre Grenzen auf.
Die geladenen interdisziplinär forschenden Wissenschaftler*innen und Expert*innen widmen sich dem Aquatischen in facettenreichen Perspektiven, wie Kulturgeschichte und Kulturwissenschaft, Geschichtswissenschaft und Wissenschaftsgeschichte, Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte, Philosophie und Mythologie, Soziologie und Empirie, Meeresbiologie, Marine-Umweltwissenschaften und Unterwassertechnologie sowie maritime Ethnologie. Verbunden werden diese Perspektiven mit Fragen der Bild-, Film- und Medienwissenschaft, Populärkultur, des Freizeitsports (z.B. Apnoetauchen) und der Geschlechterforschung.
Bei der Analyse der Meereswissensfelder und Kulturen des Wassers oszilliert die (Tief-)See zwischen märchenhaftem Phantasieraum voller seltsamer und lange ungesehener Kreaturen und Meeresungeheuer (signature animals wie Wale, Haie, Kraken; Biolumineszenz bei Lebewesen), geschlechtersensiblen Mensch/Tier-Spannungen und philosophisch-anthropologischen Deutungen („Abenteuer der physiognomischen Differenz“/ V. Hediger). Das Meer wird adressiert als geologische Schifffahrtsdomäne, Eroberungs- und Risikoraum (Piraterie), tierbiologischer Raum, Militär- und Kriegsraum, Handels-, Tourismus-, Exploitations- und Profitraum, Bestattungsraum (Seebestattungen, Unfälle) sowie Grenz-, Migrations- und Flüchtlingsraum. Die See gilt als schwer zugängliche und menschenfeindliche Sphäre (Schiffsexpeditionen auf den Meeresboden) und ökologisch-chemischer Raum, der eng mit Problemen wie Klimawandel und Umweltverseuchung zusammenhängt (u.a. Erdölbohrungen, Atom- und Wasserstoffbombentests der 1940er bis 1980er Jahre, ‚Plastikteppiche‘). Technologische Fragen der Meeresforschung und Limits der Erkundbarkeit geraten dabei ebenso ins Blickfeld wie Aspekte von Globalisierung und Transkulturalität.
In der Ringvorlesung sind – flankierend zu den wöchentlichen Vorträgen, die zum Großteil als Double Feature stattfinden und vielfach von Filmausschnitten untermalt werden, – Theorie- und Analysetexte zur vertiefenden Beschäftigung mit den Einzelthemen bereitgestellt.
Im gleichnamigen B.A.- und M.A.-Begleitseminar zur Vorlesung werden Theoriepositionen und Analysen von N. Adamowsky, H. Blumenberg, H. Böhme, V. Hediger, R. Innerhofer, T.R. Kuhnle, N. Lettenewitsch, P. Löffler, A. M’charek, G. Meynen, I. Stephan, D. Heller-Roazen, S. Vehlken, M. Vennen, L. Waack und B. Wolf studiert sowie zusätzliche Ozeanthemen ventiliert. Eine Exkursion in die Zoologische Lehrsammlung/ Meeresbiologie der HU-Berlin ist geplant.
Die Vorlesungsreihe findet in Kooperation mit Sarah Becker (HU-Berlin) statt.
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