Kommentar |
Der Roman ist die einzige Gattung der klassischen Literatur, die sich erst in der römischen Kaiserzeit entwickelte. Fiktionale Prosaerzählungen über Liebes- und Reiseabenteuer, in denen dichte Verkettungen überraschender Plotwendungen in der Regel zu einem Happyend führen, galten in der Antike als bloße Unterhaltungsliteratur und genossen ein dermaßen niedriges Ansehen, dass sich dafür in der klassischen Gattungstheorie nicht einmal eine einheitliche Bezeichnung entwickelte. Rezeptionsgeschichtlich gehören jedoch der griechische und römische Roman zu den einflussreichsten literarischen Produkten der Antike, da sie zur Entwicklung der in den neueren europäischen Literaturen wohl dominantesten Erzählgattung maßgeblich beigetragen haben. Die Texte, die wir in diesem Seminar in deutscher Übersetzung lesen werden, entstanden zwischen dem 1. und dem 4. Jahrhundert nach Christus und weisen eine große stilistische und thematische Vielfalt auf. Die Satyrica Petrons sind eine fulminante Reise nicht nur durch die unterschiedlichen Schichten der frühkaiserzeitlichen römischen Gesellschaft, sondern auch durch die zeitgenössische Hochkultur, die auf höchst unterhaltsame Weise nachgeahmt und verulkt wird. Die drei griechischen Liebesromane, die gelesen werden sollen (Longos’ Daphnis und Chloe, Charitons Kallirhoe und Heliodors Aithiopika), handeln von spannenden Abenteuern junger Liebespaare, deren Glück durch unvorstellbare Schicksalsschläge bedroht wird, am Ende aber überraschenderweise doch immer seine Erfüllung findet. Im Goldenen Esel des Apuleius wird eine phantastische Verwandlungsgeschichte mit zahlreichen weiteren Abenteuererzählungen zu einem narratologisch anspruchsvollen Flickenteppich verflochten. Und schließlich lassen sich die Wahren Geschichten Lukians, in denen unter anderem von einem Flug auf den Mond berichtet wird, als der erste Sciencefiction-Roman der europäischen Literatur verstehen. Anhand der Lektüre dieser Texte werden wir uns in diesem Seminar unter anderem mit den kulturgeschichtlichen Entstehungsbedingungen des antiken Romans sowie mit dessen gattungstheoretischer Einordnung und nachantiker Rezeption befassen.
Den Teilnehmer/innen wird der Kauf der folgenden Ausgabe dringend empfohlen: Kytzler, B. (Hrsg.) Im Reich des Eros: Sämtliche Liebes- und Abenteuerromane der Antike. 2 Bände. Düsseldorf 2001. Beide Bände sind auf diversen Internetseiten ab 15 Euro erhältlich. |