Kommentar |
Die Symphonische Dichtung ist der zur Gattung erhobene Versuch einer symphonischen Musik unter den Bedingungen eines transmusikalischen Sujets. Der damit von Franz Liszt verbundene Anspruch einer Erneuerung der Musik durch ihre Poetisierung („renouvellement de la Musique par son alliance plus intime avec la Poésie“) bei Überwindung vorgegebener Formmodelle führte unter den Vorzeichen des „Parteienstreits“ indes schnell zum Vorwurf der „Formlosigkeit“. Dabei wurzelt die programmmusikalische Gattung natürlich in jenen der sogenannten absoluten Musik, zuvorderst in der Konzertouvertüre und der charakteristischen Symphonie; insofern ist auch in einem programmusikalisch regulierten Ablauf mit den Traditionen musikalischer Formung auf Schritt und Tritt zu rechnen – ohne das Reservoir an Formtraditionen aus diesem Gattungshintergrund wäre auch eine Symphonische Dichtung kaum verstehbar. Genau dies deutet sich bereits an, wenn Richard Strauss einerseits in Liszts Fahrwasser forderte: „Neue Gedanken müssen sich neue Formen suchen“, andererseits aber vom Programm einer Tondichtung behaupten konnte: „Wer wirklich Musik zu hören versteht, braucht es wahrscheinlich gar nicht“.
Neben der unvermeidlichen Frage, wie sich Programmatisches konkret als Musik manifestiert und welche tatsächlich neuen Prinzipien dabei in Symphonischen Dichtungen Platz greifen, werden wir im Seminar daher vor allem einem nachspüren: den Momenten traditioneller Formung, den Residuen absolut-musikalischer Form in Programmmusik, und damit den formalen Funktionen und dramaturgischen Kategorien in symphonischer Musik überhaupt. Im Fokus werden die einschlägigen Werke von Liszt und Strauss stehen, jedoch sind je nach Wunsch auch Abstecher in die bereits vor 1900 im europäischen Raum reich ausdifferenzierte programmmusikalische Landschaft jederzeit möglich. |
Literatur |
Nineteenth-Century Programme Music. Creation, Negotiations, Reception, hrsg. von Jonathan Kregor, Turnhout 2018.
Joanne Cormac, Liszt and the Symphonic Poem, Cambridge 2017.
Keith T. Johns, The Symphonic Poems of Franz Liszt, Stuyvesant (NY) 1997.
Walter Werbeck, Die Tondichtungen von Richard Strauss (Dokumente und Studien zu Richard Strauss 2), Tutzing 1996.
Mathias Hansen, Richard Strauss. Die Sinfonischen Dichtungen, Kassel u. a. 2003.
Albert Brussee, The Mazeppa Music of Franz Liszt. Genesis, Analysis and Reception, Den Haag 2019.
Matthias Schäfers, Die symphonische Dichtung im Umkreis Liszts. Studien zu Hans von Bülow, Felix Draeseke und Alexander Ritter (Musik und Musikanschauung im 19. Jahrhundert), Sinzig 2015.
The Symphonic Poem in Britain, 1850–1950, hrsg. von Michael Allis und Paul Watt, Woodbridge 2020.
Brigitte Pinder, Form und Inhalt der symphonischen Tondichtungen von Sibelius. Probleme und Lösungswege, Berlin 2005. |