Kommentar |
Recht im Sinne von Normtexten, Institutionen und sozialen Praktiken ist in vielfacher Hinsicht mit Sprache, Text und Erzählen verknüpft. Das zeigt sich ganz grundlegend in Gesetzestexten und -auslegungen, Akten und anderen juristischen Medien. Zur theatralen, dabei hochgradig ritualisierten Darstellung gelangt Recht in Gerichtsverhandlungen mit ihren performativen Sprechakten, Plädoyers und Zeugenaussagen. Kein Wunder, dass Recht in seinen ermöglichenden wie beschränkenden Dimensionen, mit seinen Zumutungen und Versprechungen zum Stoff für fiktionale Texte wurde und wird. Doch auch im Alltag wird Recht erzählt – dabei wird auch taktisches Manövrieren in oft unübersichtlichen Rechtsräumen zum Gegenstand des Sprachhandelns. In der Literatur wie in der alltäglichen Verhandlung stellt Recht einen ergiebigen Fundus dar, wenn Rechtskonflikte und ihre Machtverhältnisse inszeniert werden, wenn Kategorien wie Schuld, Strafe, Versöhnung als individuelle oder kollektive Fragen verhandelt werden, wenn vor Gericht sprachliches, kulturelles und soziales Handeln zwischen diversen Akteur*innen übersetzt werden muss. In den Systemen und Situationen des Rechts spielen Fragen des Geschlechts eine zentrale Rolle, wie sich an literarischen und kulturanthropologischen Texten zeigen lässt.
Diesen Aspekten und Zusammenhängen soll im Seminar nachgegangen werden, u.a. anhand von Erfahrungsberichten und Gerichtsreportagen (z.B. der 1920er Jahre von Gabriele Tergit, der 1970er von Peggy Parnass), Gerichtsdramen zu sexualisierter und kriegerischer Gewalt (von H. v. Kleists „Der zerbrochne Krug“ bis Milo Raus „Kongo Tribunal“ oder „Moskauer Prozesse“), aktuellen Texten zum NSU-Prozess (z.B. von Elfriede Jelinek und Kathrin Röggla), zur rechtsbezogenen Alltagserzählung (wie sie z.B. von Silbey/Ewick aufgezeichnet und theoretisiert wurden) oder zu Menschenrechtsdiskursen (z.B. von Sally Engle Merry oder Anna Tsing), zu Einblicken in rechtsanwaltliche Praxis (z.B. von Christina Clemm). Analytische Perspektiven der Literaturwissenschaft, der Europäischen Ethnologie und der Gender Studies werden dabei in Beziehung gesetzt, ihre Berührungspunkte wie Reibungsmomente diskutiert.
Die Veranstaltung findet in Präsenz statt, wenn möglich. Nach Möglichkeit werden Gerichts- und Theaterbesuche eingeplant.
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Literatur |
Gabriele Tergit: Gerichtsreportagen, z.B. in den Sammlungen "Wer schießt aus Liebe?" (1999) oder „Vom Frühling und von der Einsamkeit“ (2020); Ewick, Patricia, Susan S. Silbey (1998): The common place of law: stories from everyday life. Chicago u.a.: University of Chicago Press. |