Kommentar |
Ende der 1930er Jahre wurde auch in Schweden die Möglichkeit diskutiert, Ziel eines deutschen oder sowjetischen Angriffes zu werden. Die Situation verschärfte sich mit dem Angriff der Sowjetunion auf Finnland (Nov. 1939), mit dem deutschen Überfall auf Dänemark und Norwegen (April 1940) rückte der Zweite Weltkrieg schließlich direkt an die schwedischen Grenzen. Gleichwohl war Schweden bis Kriegsende nicht direkt in militärische Kriegshandlungen involviert und wird zumeist als „neutraler“ Staat bezeichnet. Aber wie sah diese Neutralität konkret aus und wie ‚neutral‘ war sie überhaupt? Dieser Frage gehen wir in einer Bandbreite verschiedener Perspektiven nach, die von militär- sowie sozial- & kulturgeschichtlichen Ansätzen bis hin zu medien- und literaturwissenschaftlichen reichen. Das Proseminar bietet damit die Gelegenheit, entlang einschlägiger Forschungsliteratur und ausgewählten Quellen zum schwedischen Fall verschiedene geschichtswissenschaftliche Arbeitstechniken kennenzulernen.
Zunächst werden wir die schwedische Kriegssituation im nordeuropäischen Kontext verorten und nachverfolgen, warum sich Schweden über den Kriegsverlauf hinweg außenpolitisch verschieden positionierte. Wir nehmen hierbei insbesondere die Beziehungen zu Deutschland in den Blick, die zunächst von Zugeständnissen geprägt waren, bis Schweden in der Endphase des Krieges sukzessive an die Seite der (westlichen) Alliierten rückte. Anschließend legen wir den Fokus auf die Innenpolitik und sozialen Auseinandersetzungen, erweitern die Perspektive jedoch auch um die v.a. seit den 2000er Jahren in Forschung und Gesellschaft verstärkt geführte Diskussion um die Frage einer Kollaboration. Wir setzen uns u.a. mit der Pressezensur und Flüchtlingspolitik während des Krieges auseinander und analysieren die sog. Bereitschaftsliteratur, die die schwedische Bevölkerung auf die Demokratie einschwören sollte. Zudem widmen wir uns der Frage, wie Schweden den kurz zuvor begonnenen Aufbau des Wohlfahrtstaates auch während des Krieges fortsetzte und was es mit der politischen Schlüsselmetapher des „Volksheims“ (folkhemmet) auf sich hat. |
Literatur |
Ekman, Stig, Åmark, Klas (Hg.), Sweden’s relations with Nazism, Nazi Germany and the Holocaust. A Survey of Research, Stockholm 2003;
Etzemüller, Thomas, „Total, aber nicht totalitär. Die schwedische ‚Volksgemeinschaft‘“, in: Frank Bajohr, Michael Wildt (Hg.), Volksgemeinschaft. Neue Forschungen zur Gesellschaft des Nationalsozialismus, Frankfurt (Main) 2009, S. 41–59;
Freter, Harald, „Die schwedische Neutralitätspolitik während des Zweiten Weltkriegs“, in: Peter Brandt u.a. (Hg.), Der skandinavische Weg in die Moderne. Beiträge zur Geschichte Norwegens und Schwedens vom Spätmittelalter bis ins 20. Jahrhundert, Berlin 2016, S. 147–170;
Östling, Johan, „Realism and Idealism: Swedish Narratives of the Second World War. Historiography and Interpretation in the Post-War Era“, in: John Gilmour, Jill Stephenson (Hg.), Hitler's Scandinavian Legacy. The Consequences of the German Invasion for the Scandinavian Countries, Then and Now, London/New York 2013, S. 179–197;
Stecher-Hansen, Marianne (Hg.), Nordic War Stories. World War II as History, Fiction, Media, and Memory, New York 2021. |