Kommentar |
In seiner einschlägigen Schrift Vom Musikalisch-Schönen. Ein Beitrag zur Revision der Ästhetik der Tonkunst (1854) vertritt Eduard Hanslick die These, dass „[t]önend bewegte Formen [...] einzig und allein Inhalt und Gegenstand der Musik“ seien (Hanslick 1854, S. 32). Es ist allgemein bekannt, dass es Hanslick darum geht, den Gefühlsinhalt nicht als musikalische Bedeutung zu bestimmen. Was er mit „tönend bewegten Formen“ meint, wird allerdings sehr wenig diskutiert. Mit diesem Begriff werden erstens musikalische Formen als wesentliche Einheiten der Musik hervorgehoben, die zwar keine außermusikalische Bedeutung haben, aber bedeutsam sind. Also schreibt Hanslick innermusikalische Bedeutung nicht einem isolierten Element, sondern musikalischen Formen zu. Zweitens wird die Bedeutsamkeit musikalischer Formen dadurch begründet, dass musikalische Formen, deren Material aus Tönen besteht, als Bewegung charakterisiert werden. Nach Hanslick kann die Musik weder abstrakte Begriffe, noch Gefühlsinhalte, sondern Bewegungsmomente der Ideen, d.h. der „lebendig gewordene[n] Begriffe“ (ebd., S. 16) und das Dynamische eines psychischen Vorgangs beispielsweise eines Gefühls darstellen, das als das Teilmoment des Gefühls erst durch tönend bewegte Formen zugänglich wird (vgl. ebd.). Dabei spezifiziert Hanslick allerdings nicht näher, was er mit der Darstellung der Bewegung bzw. des Dynamischen genau meint. Im Vorwort seiner Schrift (2. Auflage) beschreibt Hanslick nur ganz kurz, dass „[e]twas „darstellen“ [...] immer die Vorstellung von zwei getrennten, verschiedenen Dingen [involviert], deren eines erst ausdrücklich durch einen besonderen Akt auf das andere bezogen wird“ (Hanslick 1858, S. VIII). Durch diesen präzisierungsbedürftigen Begriff „Darstellung“ bleibt die ansonsten sehr anschlussfähige Überlegung, dass die Bewegung musikalischer Formen, die nicht das Teilmoment musikalischer Formen ist, sondern musikalische Formen ausmacht, auf die Gefühlsdynamik (das Teilmoment von Gefühlen) oder die Bewegung der Ideen (das Teilmoment von Ideen) bezogen wird, theoretisch unzureichend. Unter Berücksichtigung relevanter, in Hinblick auf Hanslicks Monographie diskussionswürdiger musikwissenschaftlicher und philosophischer Schriften, moderner Semantiktheorien sowie neuerer Ergebnisse der interdisziplinären Musikforschung zielt das Seminar auf eine Relektüre der Formästhetik Hanslicks. Dabei wird angestrebt, das im musikwissenschaftlichen und -philosophischen Kontext verbreitete Konzept der innermusikalischen Bedeutung genauer zu bestimmen, teilweise kritisch zu hinterfragen und umzudefinieren.
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Literatur |
Hanslick, Eduard: Vom Musikalisch-Schönen. Ein Beitrag zur Revision der Ästhetik der Tonkunst, Leipzig 1854.
Langer, Susanne K.: Philosophy in a New Key: A Study in the Symbolism of Reason, Rite, and Art. 3. Auflage, Cambridge, MA 1957.
Stern, Daniel N.: Forms of Vitality: Exploring Dynamic Experience in Psychology, the Arts, Psychotherapy, and Development. New York 2010. |