Kommentar |
Sadismus ist eine organisierte Gewaltpraxis, ein pornografisches Genre und eine Möglichkeit im Gebrauch der Lüste. Die „Plantagen-Pornografie“ (Marcus Wood) des 18. Jh.s präsentierte koloniale Szenen realer Foltergewalt, insbesondere die Auspeitschung zwangsentblößter Afrikanerinnen und Afrikaner. Sade war über die Zustände in den französischen Kolonien nicht nur erstaunlich gut unterrichtet, er hat die neue koloniale Gewaltlust auch literarisch sichtbar gemacht und in Praktiken konvertiert, die auf die Aufhebung der Sklaverei zielten. Die sexualwissenschaftliche Karriere des „Sadismus“ stellte demgegenüber eine Entpolitisierung des literarischen Unternehmens Sades dar und war mit der Erfindung des „perversen Individuums“ verbunden. Seit 1896 wurde die rassistische „Grundpeitschung“ auch in den deutschen „Schutzgebieten“ regulär exekutiert. Mit der Auspeitschung reaktivierte die SS in den Konzentrations- und Vernichtungslagern gezielt die koloniale Gewalt gegen Versklavte und die rassistische Gewaltlust der deutschen Kolonisatoren. Die Auspeitschung von jüdischen Häftlingen ging auf die von Theodor Eicke am 1. Oktober 1933 eingeführte „Disziplinar- und Strafordnung für das Gefangenenlager“ zurück. Für Opfer und Überlebende der Shoa wurde „Sadismus“ zur Signatur der Vernichtungsmethoden der SS (Salmen Gradowski, Vladimir Jankélévitch, Jean Améry). Über den Umweg Friedrich Nietzsches und Sigmund Freuds und die Wiederentdeckung des „göttlichen Marquis“ durch Guillaume Apollinaire rückte Sade seit den 1940er Jahren in den Brennpunkt einer Debatte, in der er zum „Nächsten“ (Pierre Klossowski) und zum „Menschen in der Revolte“ (Albert Camus) erklärt wurde. George Bataille, Jean-Paul Sartre, Frantz Fanon, Aimé Césaire, Simone de Beauvoir u.a. fanden zurück zu Sades radikalpolitischem Projekt und stellten sich ihm zugleich entgegen, indem sie darauf verzichteten, den menschlichen Körper ohne Resistenz zur sadistischen Beute zu machen. In der Vorlesung geht es um eine multidirektionale Gewalt- und Verflechtungsgeschichte der Auspeitschung und um die Frage: Wie schreibt man, im Unterschied zur alten Grausamkeit, eine Körper-, Pornografie- und Theoriegeschichte der kolonialen Gewaltlust, die unser Begehren bis heute bestimmt? |