Kommentar |
In diesem Kurs werden wir uns mit der Oratio de hominis dignitate auseinandersetzen, die der berühmte Humanist Pico della Mirandola 1486 verfasste und als eine der wichtigsten „Programmschriften“ der italienischen Renaissance gilt. Es geht in dieser Schrift darum, ein Idealbild vom Menschen als dem eigentlichen Mittelpunkt der Welt zu entwerfen, welches auf einem uneingeschränkten und staunenden Vertrauen auf die erkennende und schöpferische Kraft des menschlichen Intellekts beruht und bis zu einer Gleichstellung von Menschen und Gott bzw. einer Vergöttlichung des Menschlichen geht. Im Laufe der Schrift wird immer wieder auf die Freiheit als die für das Menschsein charakteristische Eigenschaft hingewiesen, auf deren Grund sich die Menschen von allen anderen Weltgeschöpfen unterscheiden und durch deren vollständige Entfaltung im Erkennen sowie auch im Handeln sich die einzigartige Würde des Menschseins (dignitas hominis) manifestiert. Denn diese Würde wird von Pico nicht als etwas Naturgegebenes geschildert, was die Menschen mühelos besitzen, sondern als erstrebtes Ziel einer auf philosophischer Betätigung beruhenden Lebenspraxis und als höchste Vollendung eines gottgegebenen Potentials, zu der sich die Menschen Gott gegenüber verpflichtet fühlen sollen.
Sich an die Tradition des augustinischen Neuplatonismus anschließend und damit eine originelle Synthese von neuplatonisierenden Denkmustern und christlichem Glauben schaffend, kann Pico in seiner Oratio de hominis dignitate eine in mehreren Hinsichten revolutionäre Anthropologie entwickeln, die sich von den mittelalterlichen asketischen Schriften „de contemptu mundi“ deutlich verabschiedet; gleichzeitig leistet er einen wertvollen Beitrag zu einigen Aspekten der Theodizeefrage, die das Verhältnis zwischen menschlicher Freiheit und göttlicher Güte betreffen und über die einige Jahrzehnte später Erasmus von Rotterdam und Luther in den jeweiligen Schriften De libero arbitrio und De servo arbitrio heftig streiten werden.
Eine ausführliche Literaturliste wird am Anfang des Semesters zur Verfügung gestellt.
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