Die weltweite Ausbreitung des Corona-Virus hat grundlegende Gewissheiten im Hinblick auf die Beherrschbarkeit von Krankheiten erschüttert und eine umfassende Debatte über Fragen der Ansteckung ausgelöst, ebenso wie über daran anschließende Begriffe wie Infektion, Kontamination, Vakzination und Immunität. Ausgehend von der gegenwärtigen Debatte über die Pandemie werden wir im Seminar anhand von paradigmatischen historischen Schnitten von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart der Frage nachgehen, wie in unterschiedlichen historischen Epochen über Ansteckung nachgedacht wurde.
Das Seminar schreibt sich in das Forschungsfeld zu Literatur und Medizin ein und greift auf wissenspoetologische Ansätze zurück. Dabei sollen die Überschneidungen und Unterschiede zwischen wissenschaftlichen und literarischen Darstellungen von Ansteckung beleuchtet werden. Inwiefern entwickeln literarisches Texte ein eigenes, möglicherweise alternatives Wissen über Krankheit und Ansteckung? Auf welche Weise greifen wissenschaftliche Texte auf genuin literarische Darstellungsverfahren zurück? Und welche anderen gesellschaftlichen Themen werden in den Diskursen über Ansteckung mit verhandelt? Wir werden uns Metaphern und Narrative von Ansteckung in der Literatur ansehen, aber auch die Vorstellung einer ansteckenden Wirkung der Literatur, und damit wirkungsästhetische Theorieansätze.
Das im Seminar behandelte Textkorpus beginnt mit Boccaccios spätmittelalterlicher Pestdarstellung im Decameron, umfasst Romane über Schwindsucht, Erzählungen über Aids, und reicht bis zu aktuellen Corona-Tagebüchern. Einen Schwerpunkt bilden dabei autobiographische Darstellungen sowie intermediale Zugänge (Filme & Podcasts).
Es besteht die Möglichkeit der inhaltlichen Kooperation mit dem MA-Seminar „Après Guibert: le sida et la genèse de la littérature queer (1991-2021)“. Geplant ist außerdem die Teilnahme der Studierenden an einem von Dr. Daniel Fliege organisierten Workshop über den Schriftsteller Hervé Guibert.
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