Kommentar |
Mitte des 16. Jahrhunderts erscheinen in schneller Folge sechs Schwanksammlungen im Druck: Jörg Wickrams 'Rollwagenbüchlein' (1555) gibt das Modell vor, auf das Jakob Freys 'Gartengesellschaft' (1556), der 'Wegkürzer' des Martin Montanus (1557), Michael Lindeners 'Rastbüchlein' und 'Katzipori' (1558) sowie Valentin Schumanns 'Nachtbüchlein' (1559) reagieren. Als forcierte Form des moralischen Exempels stehen Schwänke schon im Mittelalter in hohem Kurs, freilich nicht etwa in dem Sinne, als würden sie eindimensional Dummheit und Fehlverhalten gegenüber der sozialen Umwelt oder der göttlichen Ordnung illustrativ der Lächerlichkeit preisgeben, um das Verwerfliche durch Verlachen zu distanzieren. Eher scheint es darum zu gehen, an widersinnig zugespitzten Einzelfällen die Widersprüche hervorzutreiben, die ethisches Wissen als ein okkasionelles auszustellen. Insofern zielen Schwänke darauf, das Urteilsvermögen ihres Publikums – auch über das Zwerchfell – zu erschüttern und das iudicium selbst als schwankendes vor Augen zu führen. Da es sich um eine Einsicht, die nur von Fall zu Fall zu erproben und nicht auf normative Obersätze, geschweige denn auf ein A Priori zurückzuführen ist, treten Schwänke zumeist in Geschichten mit anonymen Akteuren und stets in vielteiligen Sammlungen auf oder werden wie in Strickers 'Der Pfaffe Âmis', im 'Pfarrer von Kalenberg' Philipp Frankfurters (1473) oder im 'Ulenspiegel' (1515) über eine Vitenstruktur an einen Schwankhelden gebunden, der nach einer bestimmten Ordnung des (Nicht‑)Wissens episodisch voneinander abgesetzte Stationen durchläuft. Unter den Bedingungen des Drucks, der die Tendenz zur Serialisierung produktionstechnisch verstärkt, werden die Schwankkalküle gesammelt und unter veränderten Kommunikationsbedingungen konfiguriert, die häufig einen Rahmen für ihren geselligen Gebrauch fingieren. Dadurch wird umso deutlicher, dass es sich bei Schwänken um Diskurskonfiguratoren handelt, deren Bedingungen in der urbanen Rede und ihrer Parrhesie (als sprachlicher und gedanklicher Freizügigkeit) das Seminar für die frühe Neuzeit analysieren möchte. |