Kommentar |
Wie und wo entsteht Macht? Wie wird Gesellschaft gemacht? In diesem Seminar beschäftigen wir uns mit theoretischen Ansätzen, die Macht und Gesellschaft als Produkt sozialer Beziehungen verstehen. Es geht um relationale Handlungstheorien, in denen das aufeinander bezogene, interdependente Handeln von Subjekten in und mit (Um)Welt im Mittelpunkt steht.
Ein erster Schwerpunkt wird dabei auf der Mikroanalyse alltäglicher Interaktionen in der Theorie Erving Goffmans liegen. Unter dem programmatischen Titel „Wir alle spielen Theater“ hatte er 1959 ausgeführt, wie der zwischenmenschliche Alltag bis ins kleinste Moment flüchtiger Begegnungen von Rollen und Regieanweisungen, gleichzeitig aber auch von Listen und Tricks der Beteiligten inszeniert und praktiziert wird. Ein zweiter Schwerpunkt widmet sich dem Begriff der Figuration von Norbert Elias (1965 ff.), mit dem er „Gesellschaft“ als das Zusammenspiel von Individuen in interdependenten Handlungsketten zu fassen sucht. Dieses Zusammenspiel kann sich sowohl auf eine kleine Gesellschaft (etwa von Kartenspieler*innen oder einer Nachbarschaft, eines Dorfes), als auch auf große, weit in den globalen Raum ausgreifende Handlungszusammenhänge beziehen. Zusammengehalten werden diese Figurationen durch veränderliche Machtbalancen, die die „Mitspieler*innen“ aneinander binden. Elias‘ Figurationstheorie erlebt jetzt gerade eine neuerliche Renaissance in der Migrationsforschung, die sich verstärkt auf seine mit John L. Scotson durchgeführte Studie „Etablierte und Außenseiter“ (1965) bezieht. Als dritten Schwerpunkt schließlich werden wir uns mit dem Ansatz der Verflechtungen beschäftigen, der vor allem in der postkolonialen Theorie – als „verflochtene Modernen“ (Shalini Randeria), als reflexiver Handlungsraum zwischen „Metropole“ und „Kolonie“ (Ann Laura Stoler, Jean und John Comaroff, Achille Mbembe) – entwickelt wurde. Darüber hinaus werden unter dem Begriff der Verflechtungen auch Verhandlungen, Interdependenzen und Unschärfen zwischen humanen und nicht-humanen Welten, etwa in dem feministisch inspirierten Posthumanismus Donna Haraways, thematisiert.
Das Seminar bietet die Möglichkeit, das Interesse an Handlungstheorie mit einem spezifischen Fokus auf Beziehungshandeln zu vertiefen. Wir werden uns den Denkräumen der genannten Autor*innen, auch vor dem Hintergrund ihrer intellektuellen Biographien und Entwicklungen, ausführlicher widmen. Alle Teilnehmenden werden zudem angeregt, die theoretischen Perspektiven in selbst gewählten Praxisfeldern zu erproben und zu reflektieren.
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