Kommentar |
Mit der Bibelübersetzung ins Kirchenslawische gelangte die Schriftkultur in den slawischen Raum und provozierte so eine durch mehrere Faktoren begünstigte, andererseits notwendig gewordene Sakralisierung der Schrift: Nicht nur der Inhalt des Wortes war heilig und hatte Autorität, sondern gleichzeitig seine Materialisierung im Zeichen. Die Anfänge der russischen Kultur sind so durchaus als graphozentristisch zu charakterisieren. Der Ikone hingegen musste eine sekundäre Heiligkeit zugesprochen werden (durch Namensgebung, Ähnlichkeit mit dem Heiligen), während die Schrift „von sich aus" als heilig anzusehen war. Im Kirchenraum der orthodoxen Kirche spielt die Ikone eine bedeutsame Rolle. Hier ist sie in die liturgische Handlung eingebunden und hat ihren Wert als Kultbild. Mit dieser LV wird angestrebt, die Ikone in ihrer ikonographischen Tradierung als Kultbild und als Gegenstand der Verehrung innerhalb des orthodoxen Christentums zu betrachten. Dass die Ikone spätestens seit dem 19. Jahrhundert neben ihrem Dasein als Kultbild auch als autonomes Kunstbild gilt, und in Westeuropa gerade als letztgenanntes publik wurde, wird dabei vorausgesetzt, nicht aber thematisiert werden. |