Kommentar |
Die Wahrnehmung von Artefakten wird seit einigen Jahren in der Forschung zunehmend schärfer für die Vormoderne reflektiert. Es hat sich gezeigt, dass wir einem deutlich differenzierten und auch wohlkalkulierten Prozess von Zeigen und Entzug Rechnung zu tragen haben. Belegt wird dies nicht nur durch nachweisbare Praktiken, sondern auch durch entsprechende, diese Prozesse kommentierende schriftliche Quellen. Wahrnehmung ist grundsätzlich komplex organisiert und reguliert, insofern bei der Produktion durch die Materialwahl (Stichwort: Materialität), die Organisation von Bildern, ihrer Rahmung etc. gewisse Grundbedingungen hergestellt werden. Im Zuge ausgefeilter Präsentationsformen konstituieren sich darüber hinaus in den unterschiedlichen Kontexten (sakralen und profanen Räumen, einschließlich ihrer funktionalen Zuordnung /Separierung, Buchkörpern etc.) Wahrnehmungsangebote, die durch orale, textuelle, liturgische und andere Praktiken begleitet sein können. Im Seminar werden wir an ausgesuchten Beispielen nicht nur die Frage von Nähe und Distanz zu Objekten reflektieren, sondern ebenso die Einbindung des Betrachters in seiner Körperlichkeit und seiner Bewegung in den Blick nehmen (peripatetisches Sehen). Wahrnehmung ist zudem durch den jeweiligen Erfahrungshorizont konditioniert. „Normierte“ Bildprogramme, Erinnerungen und nicht zuletzt auch Visionen sind durch Bilderfahrungen ebenso geprägt wie sie einen Erwartungshorizont determinieren. Letztlich gehört auch die Frage nach der privilegierten Wahrnehmung dazu, da eine Reihe von Artefakten primär einem ausgesuchten Adressatenkreis vorbehalten war (Graduierung von Wahrnehmung in Hinblick auf unterschiedliche Rezipienten). Wahrnehmung in sakralen Räumen beschränkt sich freilich nicht nur auf die Optik, sondern ist vielfach multisensorisch ausgerichtet. Gerade die jüngere Forschung hat z.B. für die Hagia Sophia in Konstantinopel (Istanbul) die akustische Dimension erschlossen. Die Frage nach den Sichtbarkeiten tangiert in hohem Masse diejenige nach Materialität und Medialität. Letztlich sollen auch die Chancen und Grenzen einer zukünftigen Forschung ausgelotet werden.
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