Kommentar |
Die Bukolik ist eine der großen europäischen Literaturtraditionen. Sie beruht angeblich auf den Gesängen von Hirten (‚boukolos‘ heißt auf griechisch ‚Rinderhirte‘), aber ihr Reiz besteht weniger in der unmittelbaren Wiedergabe des Landlebens als vielmehr im Spiel mit der Fiktion, dass Hirten Dichter und Dichter Hirten seien. Ausgehend von dieser Fiktion entwirft schon Theokrit in seinen gattungsbegründenden Eidyllia (3. Jh. v. Chr.) ein komplexes Sozialgefüge, in dem Sängerwettstreit, Homo- und Hetero-Erotik und der Bezug auf die zu hütenden Tiere gleichermaßen eine Rolle spielen. Damit eröffnen sich neben fiktionstheoretischen auch kulturwissenschaftliche Lesarten, z.B. gender- und ökokritische. Auf diese Weise soll im Seminar die Literatur- und Kulturgeschichte der Bukolik erschlossen werden. Ein Schwerpunkt liegt auf der Frühen Neuzeit, als sich ihr Wirkungsbereich auf fast alle Gattungen erstreckte, von geistlichen Hirtengedichten über bemerkenswerte lyrisch-prosaische Mischformen bis zu den politischen Allegorien des Schäferromans. Ebenfalls berücksichtigt werden bukolische Idyllen des 18. bis 20. Jahrhunderts (Salomon Geßner: „Idyllen“, Johanna Spyri: „Heidi“, Wilhelm Lehmann: „Bukolisches Tagebuch“), bis hin zu ihren brüchigen Spätformen, etwa Annie Proulx’ Schäfer-Erzählung „Brokeback Mountain“ (1997, verfilmt von Ang Lee 2005). Vorgesehene Arbeitsleistung: spezielle Zuständigkeit für eine Sitzung (Thesenpapier, Kurzeinführung). Soweit möglich, findet das SE in Präsenz statt (andernfalls in Form von Videokonferenzen).
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Literatur |
Zur vorbereitenden Lektüre: Theokrit: Gedichte, Griechisch/Deutsch, übers. und hg. von Regina Höschele, Stuttgart 2016 (Reclams Universal-Bibliothek, € 12,00); Salomon Geßner: Idyllen. Kritische Ausgabe, hg. von E. Theodor Voss, Stuttgart 1988 (Reclams Universal-Bibliothek, nur antiquarisch; dieselbe Ausgabe auch unter http://www.zeno.org/Literatur/M/Gessner,+Salomon/Gedichte/Idyllen/Idyllen)
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