Kommentar |
Lässt sich Geschichte aus der Perspektive von Kindern schreiben? Wodurch wäre eine solche Perspektive im Unterschied zur Perspektive Erwachsener charakterisiert? Die Eigenständigkeit einer Kinderperspektive soll in einem ersten Schritt durch eine Auseinandersetzung mit der Geschwisterbeziehung umrissen werden. Theorieszenen und Erzählungen dramatisieren das soziale Band der Geschwister in Affektpolitiken des Eindringens und des „Milchbruderneids“ (Augustinus/Lacan), der erbitterten Rivalität bis hin zum Brudermord („Kain und Abel“) oder des gemeinsam begangenen Vatermords („Totem und Tabu“). Die Geschwisterbeziehung erscheint zudem durch inzestuöses Begehren, zwillingshafte Symbiose oder unauflösliche Schuld, nicht zuletzt auch durch rebellisches Aufbegehren gegen die Erwachsenenwelt, durch zärtliche Fürsorge, lebenslange Verbundenheit und unbedingte Solidarität über den Tod hinaus („Antigone“) bestimmt. Schwester und Bruder werden durch die Geschlechterdifferenz verschieden gemacht. Geschwisterlichkeit ist hingegen durch bisexuelle Gleichheit, serielle Positionierung und horizontale Differenzierung von Ich und Wir ausgezeichnet. Wir folgen den Fährten der Geschwister auf den Feldern der strukturalen Verwandtschaftsforschung, der Psychoanalyse und der politischen Theorie. Wir begeben uns auf Spurensuche in Mythen und Erzählungen, zumal in historischen Konstellationen des Geschwister-Werdens und fragen nach den body politics, in den sich geschwisterlich-laterale Beziehungen außerhalb des familialen Modells verkörpern.
Teilnahmebedingung: Erstellung eines Sitzungsprotokolls sowie Mitwirkung in einer Expert*innengruppe zur Erarbeitung von Diskussionsfragen für eine Sitzung.
Ein Reader mit ausgewählten Texten und eine Liste mit weiterführender Forschungsliteratur werden zu Beginn des Semesters bereitgestellt.
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