Unter Versuchung wird der Anreiz verstanden eine bekannte Grenze zu übertreten, obwohl durch diese Normtransgression negative Folgen zu erwarten sind. Dieser spezifische Anreiz verführt also zur Realisierung einer spontanen Lust, die sich gegen eine oder mehrere etablierte Normen im Rahmen des moralischen, politischen oder religiösen Lebens stellt. In der Literatur- und Kulturgeschichte ist die „Versuchungen des heiligen Antonius durch irdische Lüste und seine Peinigungen durch den Teufel und seine Dämonen“ wie sie von Athanasius in der Vita Antonii (ca. 360) dargestellt ist, zu einem vielbearbeitetet Stoff geworden. Im Werk von Gustave Flaubert (1821–1880) nimmt die Auseinandersetzung mit La tentation de Saint Antoine (1874) eine Sonderstellung ein. Zunächst handelt es sich um einen Text, der sich, anders als die bekannten und erfolgreichen Romane, einer generischen Zuordnung entzieht und zwischen Drama und Roman oszilliert. Obwohl sich dieser hybride Text einer klaren Gattungsmarkierung widersetzt, so markieren seine drei Versionen wichtige Momente in Flauberts biografisch-literarischem Werdegang, von denen aus auch das Gesamtwerk (neu) betrachtet werden kann. Auf die erste Fertigstellung (1849) erfährt Flaubert vernichtende Kritik und bricht kurz darauf mit Maxime Du Camp zur anderthalb Jahre andauernden „voyage en Orient“ auf; die zweite Version beendet er 1856 parallel zum Skandal um Madame Bovary; die dritte und letzte Fassung von 1874 steht im Zusammenhang mit dem Spätwerk, der Veröffentlichung der Trois contes (1877) sowie von Bouvard et Pécuchet (1880).
Anlässlich des diesjährigen 200. Geburtstags von Gustave Flaubert verfolgt dieses Seminar drei Ziele, die zu einer genauen Auseinandersetzung mit der Tentation führen werden: Erstens eine detaillierte Auseinandersetzung mit der Versuchung als literarischem und künstlerischen Motiv, die im Kontext religiöser, politischer oder moralischer Normübertretung angesiedelt ist. Zweitens, die genaue Lektüre der letzten Fassung von Flauberts Tentation im Spannungsfeld des Werkes. Drittens widmen wir uns verschiedenen Ausdrucks- und Repräsentationsformen der Versuchung des Heiligen Antonius aus dem spanischsprachigen Raum, z.B. Salvador Dalís Gemälde La tentación de San Antonio (1946) und bringen diese Positionen in Austausch mit Flauberts Text.
Wichtige Hinweise:
(1) Für die Teilnahme an diesem Seminar sollten Sie mindestens über gute Kenntnisse des Französischen und Spanischen verfügen.
(2) Das Seminar wird, je nach pandemischer Situation, auch an verschiedenen Orten in Präsenz im Blockformat stattfinden und soll im Sinne einer gemeinsamen Arbeitswerkstatt durchgeführt werden. Idealerweise erstellen wir eine Webseite mit den Ergebnissen unserer wissenschaftlichen Arbeit, die auch für die interessierte Öffentlichkeit ansprechend sind. Genaueres zur tatsächlich möglichen Durchführbarkeit dieses Vorhabens besprechen wir in der ersten Sitzung zu Semesterbeginn.
(3) Bitte erwerben Sie Flauberts Tentation als Buch. Nach Möglichkeit im Original:
Gustave Flaubert. La Tentation de Saint Antoine. hg. von Claudine Gothot-Mersch. Gallimard. Paris. 1983.
oder in der deutschen Übertragung von Barbara und Robert Picht:
Gustave Flaubert. Die Versuchung des heiligen Antonius. Insel. Frankfurt am Main. 1996. |