Kommentar |
In den unterschiedlichsten Gattungen der griechischen Literatur findet sich ein Nachdenken darüber, was der Fall (gewesen) wäre oder sein könnte, wenn die Dinge anders verlaufen wären: in der homerischen Epik, der attischen Tragödie, der Rhetorik, aber gerade auch in vermeintlich realitätsbezogenen Texten, etwa in der frühgriechischen Philosophie, der ‚hippokratischen‘ Medizin, der theoretischen Mathematik und in der Geschichtsschreibung. Um zentrale Passagen bei Herodot und Thukydides, die darüber reflektieren, wie sich die Geschichte unter bestimmten anderen Umständen entwickelt hätte, ist eine (v.a. althistorisch geführte) Diskussion darüber entbrannt, wie sinnvoll die Imagination alternativer Geschehensverläufe aus historischer Sicht überhaupt ist. In der Übung werden wir uns dem Kontrafaktischen hingegen aus literaturwissenschaftlicher Perspektive nähern; an Texten v.a. der archaischen und klassischen Literatur werden wir untersuchen, wie sich das Kontrafaktische textuell manifestiert, wie kontrafaktische Aussagen sprachlich geformt sind und welche literarisch-rhetorischen und epistemologischen Funktionen der Rekurs auf kontrafaktisches Denken hat.
Literatur: V. WOHL (Hg.): Probabilities, Hypotheticals, and Counterfactuals in Ancient Greek Thought, Cambridge 2014.
|