Kommentar |
In der Sattelzeit um 1800 revolutionierte sich die auch die neuzeitliche Philologie. Zwar hatte die Beschäftigung mit antiken Überlieferungen seit der Renaissance einen zentralen normativen Stellenwert für die europäische Kultur. Um 1800 jedoch stellte sich vor allem im Umgang mit solchen Überlieferungen auf neue Weise das Problem ihrer Historizität: Wie können sich die Modernen überhaupt in einen Bezug zu vergangenen und fremden Kulturen setzen – zumal, wenn die Zeugnisse dieser Kulturen nur in Form unsicherer und oft fragmentarischer Überlieferungen vorliegen? Der Wille zur Erkenntnis vor allem der griechischen Antike (aber auch des ‚Altertums‘ anderer Völker) stimulierte um 1800 eine intensive theoretische Reflexion – über die grundsätzliche Möglichkeit des Verstehens von Texten; über das Verstehen von Kulturen und historischen Formationen; und nicht zuletzt darüber, wie man sich im Zuge solcher Verständnisakte selbst als Moderne, also in Bezug auf die eigene Zukunft, positioniert. Die Versuche theoretischer Grundlegung, die hier vor allem in den philologischen Disziplinen der Kritik und Hermeneutik vollziehen, haben die Philologie (und die historischen Geisteswissenschaften insgesamt) in der Folge über viele Jahrzehnte hindurch geprägt. Sie sind auch durch die Frag- und Kritikwürdigkeit vieler Entwicklungen in den philologischen Disziplinen im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts nicht obsolet geworden, wie etwa die (späten) Bekenntnisse Paul de Mans (The Return to Philology, 1983) oder Edward Saids (ebenfalls The Return to Philology, ersch. 2004) zur Philologie belegen. Philologisches Denken hält immer wieder unerlässliche kritische Potentiale bereit, die durch die Auseinandersetzung mit seiner theoretischen Basis freigesetzt werden können. Das SE wird sich mit einigen fundamentalen theoretischen Einlassungen zur Philologie um 1800 beschäftigen. Ein besonderer Schwerpunkt soll auf Friedrich Schlegel liegen. Seine Reflexionen liegen zu einem großen Teil in einzelnen Notaten (und ‚Fragmenten‘) vor, stellen also selbst eine große kritische und hermeneutische Herausforderung dar. Gelesen werden sollen die Hefte Zur Philologie, voraussichtlich auch die erst jüngst edierten ‚Hefte zur antiken Literatur‘, außerdem der Aufsatz Über das Studium der antiken Literatur. Ein weiterer Schwerpunkt des Seminars wird auf August Boeckh (Encyklopädie der Philologie) liegen. Wenn Zeit bleibt, sollen auch Schriften von Friedrich August Wolf und/oder Friedrich Schleiermacher gelesen werden. |